Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Gedanken. War er davongekommen?
    Ein Schrei stieg in ihr auf, noch bevor ihr bewusst wurde, warum. Dann erinnerte sie sich an alles – an das Bootshaus, die Flammen, ihre brennende Schuppenhaut.
    Mit kräftigem Schwung riss sie die Bettdecke beiseite und blickte an ihrem Körper hinunter. Sie war nackt bis auf knallbunte Simpsons -Shorts, die sie bei ihrer Flucht nach Sizilien zurückgelassen und nicht vermisst hatte.
    Sie war unversehrt, abgesehen von blauen Flecken an den Knien und Schienbeinen. Ihre Haut sah ungewöhnlich stark durchblutet aus, nicht so bleich wie sonst, sondern rosiger, wie bei einem Neugeborenen. Als sie mit den Fingern vorsichtig über ihren flachen Bauch tastete, über die vorstehenden Hüftknochen, die Oberschenkel, da fühlte es sich an, als wäre sie frisch eingecremt, ganz glatt und seidig.
    Das ist nicht meine Haut, dachte sie. Die hier ist neu .
    »Mein Gott, Rosa!«
    Jemand stürzte zur Tür herein, fiel neben ihr auf die Knie und umarmte sie heftig. Rotblondes Haar wurde an ihr Gesicht gepresst, es roch nach Großküche und Zigarettenrauch. Sie kannte diesen Geruch und gegen ihren Willen fand sie seine Vertrautheit tröstend. Vorsichtig drehte sie sich, bis auch sie die Arme um ihre Mutter legen konnte. Es war nicht mehr als ein Reflex, aber im Augenblick erschien es ihr richtig, wenn auch nicht aufrichtig.
    Ihre Mutter weinte und brachte kein Wort heraus, und als sie es dennoch versuchte, kam nur ein Schluchzen.
    »Ich bin okay«, flüsterte Rosa. »Ist ja nichts –« passiert , hatte sie sagen wollen, aber dann fielen ihr Jessy und die zerlumpten Straßenkinder ein. Micheles Leopardenaugen und der zornige Schrei des Tigers am Fenster. Mattia und Valerie.
    Feuer, das ihre Haut und Muskeln zu schwarzer Schlacke verschmolz.
    Nur nicht die Schmerzen. Es war, als wären sie zu einem winzigen Punkt zusammengeknüllt, wie eine Papierkugel, die sich erst langsam wieder entfalten würde. Nie und nimmer konnte ihr Verstand für alle Ewigkeit unterdrücken, was sie gespürt hatte.
    Aber hatte sie nicht schon einmal alles ausradiert, all das Schlimme und Schmerzhafte?
    Tano. Michele. Und irgendwie auch Valerie.
    Ein Beben lief durch ihren Körper, und sie fühlte sich mit einem Mal sehr schmal und verletzlich in den Armen ihrer Mutter, und dann hörte sie sich reden, aber nichts davon ergab einen Sinn, und Gemma erwiderte etwas, ohne sie loszulassen: von einem Taxifahrer, der sie lamentierend abgesetzt hatte, splitternackt und nach Ruß und Rauch stinkend, und dass sie froh sein konnte, dass er sie weder bei der Polizei abgeliefert noch aus dem Wagen geworfen hatte.
    So etwas gab es nur in dieser Stadt. Rosas Gedanken schweiften ab zu einem alten I love New York -Shirt in ihrem Schrank und sie dachte, dass sie es wohl in Zukunft ab und an tragen sollte, als Wiedergutmachung.
    Als aus einem Atemholen ein langes Schweigen zu werden drohte, fragte sie: »Du hast doch nicht die Cops gerufen, oder?«
    Ihre Mutter musterte sie lange. »Nein«, sagte sie schließlich. Keine Erklärung. Nur eine stumme Frage im Blick.
    Rosa nickte. »Besser so.«
    So ist das in dieser Familie, dachte sie. Die achtzehnjährige Tochter wird mitten in der Nacht nackt vor der Tür abgesetzt, und die Mutter ruft keine Polizei. Nicht mal einen Arzt. Und ein Teil von Rosa wollte fragen: Warum nicht? , wollte die alten Vorwürfe wieder hervorholen, weil sie immer nur dieses eine Wort denken konnte, wenn sie ihrer Mutter in die Augen sah. Warum. Warum. Warum.
    Dann begriff sie, dass vielmehr sie es war, die in diesem Moment eine Antwort schuldig blieb. Auch wenn die Frage gar nicht gestellt worden war.
    »Es war nicht … wonach es ausgesehen hat«, sagte sie und wich Gemmas Blick aus. »Nicht wie damals.«
    Ihre Mutter hob eine Hand vor den Mund und atmete zweimal hinein, so als wollte sie vermeiden zu hyperventilieren. Trotzdem blieb sie ruhig. Nur in ihren blauen Augen loderte es, aber sie behielt sich bemerkenswert gut im Griff. »Sie haben dir wehgetan«, stellte sie fest. Sie hatte frisch verkrustete Bissmale auf der Unterlippe und ihre Hände zitterten. Ihre Fingernägel waren sehr kurz geschnitten und ein wenig verfärbt vom Nikotin.
    »Mir geht’s wieder gut«, sagte Rosa. »Danke, dass du … dass ich hier sein darf.«
    »Hast du daran denn gezweifelt?« Gemma stand von derBettkante auf, entfernte sich zwei Schritte und blieb mit dem Rücken zu Rosa stehen. »Du kannst mir noch immer nicht vertrauen, hm?«
    Rosa

Weitere Kostenlose Bücher