Arkadien 02 - Arkadien brennt
ließ sie nicht los. Gemma zwang sie, ihr ins Gesicht zu sehen. »Ich konnte nicht zu Zoes Beerdigung kommen«, sagte sie eindringlich. »Ich weiß, dass du das nicht verstehen willst. Aber ich hab geschworen, dieses Haus nie wieder zu betreten.«
»Geschworen? Wem?«
»Mir selbst. Und das kannst du lächerlich finden oder verbohrt, ganz wie du willst. Aber dort sind Dinge passiert … Lieber sterbe ich, als noch einmal diesen Berg hinaufzufahren und einen Schritt über die Schwelle zu machen.«
»Es ist niemand mehr da, Mom. Niemand außer mir.« Siehätte Iole erwähnen können, aber dies war kaum der Zeitpunkt dafür.
Gemma starrte sie an und plötzlich standen Tränen in ihren Augen. »Ich hab solche Angst um dich. Ich liege wach und ich denke daran, was … was aus dir werden könnte. Dieser Ort, diese Insel … sie haben aus Zoe eine andere gemacht. Und mit dir wird das Gleiche passieren.«
»Ich werde zur Schlange. Mehr Veränderung geht nicht. Und das hat nichts mit Sizilien zu tun oder dem Palazzo. Nicht mal mit Florinda.« Sie streifte Gemmas Hände ab und zerrte sich die Jeans über die Beine. Ihre Knie waren weich, und das nicht allein wegen ihrer neuen Haut. »Was wäre gewesen, wenn es hier passiert wäre? In der Schule? Oder in der U-Bahn? Fuck, Mom, du hättest mich warnen müssen!«
»Ich hab’s verdrängt. Nicht immer, nicht am Anfang, aber je öfter ich mir vorgenommen habe, mit dir darüber zu sprechen, desto weniger konnte ich es.«
»Das ist verdammtes Pech, was?«
»Dein Vater … Davide … er hat nie ein Wort darüber verloren. Nicht, nachdem Costanza uns davongejagt hat und wir hierher –«
»Großmutter hat euch rausgeschmissen?« Das hatte sie nicht gewusst.
»Großmutter«, wiederholte Gemma verächtlich. »Das klingt, als hättest du sie gekannt. Gott, ich wünschte, ich wäre dieser Hexe nie begegnet.«
Rosa blinzelte sie irritiert an und schüttelte langsam den Kopf. Costanza Alcantara, die Mutter ihres Vaters, war niemals ein Thema gewesen. Früher nicht, und auch nicht während ihrer Zeit auf Sizilien. Sie war nicht mehr als ein Name. Zwei Worte auf einer Granitplatte in der Familiengruft. Ein Gesicht auf einem Ölgemälde, das Florinda schon vor Jahren von der Wand genommen und hinter einen Schrank geschoben hatte.
Gemma ging zur Zimmertür und lehnte sich in den Rahmen, die Arme vor dem Körper verschränkt. Sie war noch blasser als sonst. »Du weißt nichts über Costanza, oder?«
Rosa zog sich das T-Shirt über den Kopf, dann den Pullover. Zu ihrer Überraschung roch beides nach Waschmittel, als kämen sie frisch aus der Maschine. »Hier geht es doch gar nicht um sie.«
»Es ging immer um sie! Ohne dass jemals ihr Name in diesem Haus gefallen wäre. Oder sie angerufen hätte oder sonst wie von sich hätte hören lassen. In Wahrheit war sie trotzdem immer da, jeden verdammten Tag.«
Rosa wollte etwas Bissiges erwidern, aber ein Blick in die Augen ihrer Mutter hielt sie davon ab. Stattdessen fragte sie zögernd: »Das war nicht nur so ein Schwiegermutter-Schwiegertochter-Ding, oder?«
Gemma schnaubte verächtlich. »Costanza war das Oberhaupt des Alcantara-Clans, und das mehrere Jahrzehnte lang. Sie war einer der mächtigsten Mafiabosse Italiens. Glaubst du wirklich, jemand wie sie hätte sich mit der Rolle der bösen Schwiegermutter zufriedengegeben?«
»Was ist passiert?«
»Würde es denn etwas ändern, wenn ich es dir erzähle?«
»Genau das ist unser Problem! Dass du immer meinst, festlegen zu müssen, was gut für mich ist. Und was ich wissen muss und was nicht. Hätte es etwas geändert, wenn ich von Arkadien gewusst hätte? Ja, eine ganze Menge sogar. Hätte es etwas geändert, wenn ich gewusst hätte, was TABULA ist? Vielleicht.«
»TABULA?« Gemma sah sie verwundert an.
»Davon hast du natürlich nie gehört.«
»Ich hab keinen blassen Schimmer. Was ist das? Hat das mit den Dynastien zu tun?«
»Dad hat nie davon gesprochen?«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
Rosa winkte ab – und wurde sich im nächsten Moment bewusst, dass sie sich genauso verhielt wie ihre Mutter. In wie vielen Dingen waren sie sich ähnlicher, als sie es wahrhaben wollte?
»Bist du ganz sicher, dass Dad TABULA nie erwähnt hat?« Nun war sie doch noch bei der Frage angekommen, wegen der sie nach New York gereist war. Mit einem Mal erschien sie ihr nicht mehr halb so wichtig wie zuvor.
»Ich schwöre dir, ich höre diesen Namen heute zum ersten Mal«, sagte
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