Arkadien 02 - Arkadien brennt
sondern TABULA?
»Warum erzählst du mir das alles gerade jetzt?«, fragte sie.
»Weil du mir vorwirfst, dass ich Geheimnisse vor euch hatte, vor dir und Zoe. Und ich will, dass du es verstehst. Hätte ich nach Davides Tod alles nur noch schlimmer für euch machen sollen, indem ich euch die Wahrheit gesagt hätte? Dass ihr ihn nicht verloren habt, weil er gestorben ist, sondern weil es seine eigene Entscheidung war, durch die Tür da vorn zu gehen und nicht mehr zurückzukommen? Was genau wäre dadurch besser geworden?« Sie schüttelte den Kopf. »Denk von mir aus über mich, was du magst, Rosa – aber ich glaube immer noch, dass es so richtig war. Ich wollte, dass ihr die Chance bekommt, wie normale Mädchen aufzuwachsen, und dieser Mafiamist, all die Verhöre und Vorladungen – das war schon schwer genug.« Sie sah jetzt sehr müde aus, ausgelaugtvon ihren Erinnerungen. »Und was die Verwandlungen angeht: Ich bin keine Arkadierin, und auch Davide hat nie die Fähigkeit gehabt, etwas anderes zu sein als er selbst. Ich hab gehofft, dass ihr die Kinder gewöhnlicher Eltern sein könntet, dass ihr seid wie er und wie ich – und nicht wie Costanza. Was hätte ich euch denn sagen sollen? Dass ihr euch vielleicht einmal in Schlangen verwandelt, wenn ihr erwachsen seid? Meinst du nicht, durch so etwas hätte ich euch nur noch viel früher verloren?«
Draußen raste ein Krankenwagen mit heulender Sirene die Straße hinab. Der kleine Hund, den Rosa schon von ihrem ersten Besuch kannte, lief vor dem Haus umher und kläffte dem Wagen nach.
»Wenn du glaubst, dass ich dich verraten habe, dann kann ich das nicht mehr ändern«, sagte Gemma. »Es ist für so vieles zu spät, und dafür ganz bestimmt.«
»Vielleicht hast du Zoe wirklich an Florinda verloren«, sagte Rosa. »Aber mich nicht. Einmal hätte ich Florinda fast erschossen.«
Gemma lächelte traurig. »Mein Mädchen.«
»Du kannst noch immer mitkommen nach Sizilien. Möglich, dass sie hier aufkreuzen, um mich zu suchen.«
»Arkadier?«
»Carnevares.«
»Was ist mit dem Konkordat?«
»Das ist schon vor Monaten gebrochen worden, von beiden Seiten. Ich schätze, es hat jetzt keine Gültigkeit mehr.«
»Darüber entscheidet das Tribunal, dachte ich.«
»Du kennst dich noch immer gut aus.«
»Ich habe lange genug bei den Alcantaras gelebt.«
»Komm mit mir«, sagte Rosa noch einmal.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Das ist lieb von dir. Aber, nein, danke.«
»Du bist hier nicht sicher.«
»Ich bin auch auf Sizilien nicht sicher. Niemand ist das, der sich mit den Dynastien einlässt.«
Rosas Blick wanderte über die Fotos an ihrem Spiegel – und da war er, halb verdeckt von einem verblichenen Magazinschnipsel. »Du hast Dad wirklich geliebt, nicht wahr?«
»Sehr.«
»Und er dich?«
»Ich glaube schon.«
»Und trotzdem ist er einfach gegangen.«
»Ja.«
Diesmal fragte sie nicht, warum.
Ihre Mutter gab ihr die Antwort auch so. Eine Antwort.
»Er hatte keine Wahl, glaube ich.« Gemma stand auf, blieb aber in der Tür stehen. »Weißt du, die Leute lügen, wenn sie sagen, nichts sei so stark wie die Liebe. Das ist eine der größten und gemeinsten Lügen überhaupt. Liebe ist nicht stark. Sie ist so verletzlich wie nur irgendwas. Und wenn wir nicht achtgeben, dann zerbricht sie wie Glas.«
»Aber du liebst ihn noch immer. Sogar heute noch.«
»Und, hilft mir das weiter? Macht mich das stärker?« Sie schüttelte den Kopf. »Es tut nur weh, das ist alles. Es tut furchtbar weh, jeden Tag und jede Nacht. Es ist auch nicht wahr, dass die Zeit alle Wunden heilt. Sie macht es schlimmer. Die Zeit macht es immer nur noch schlimmer.«
Vor dem Fenster wandte der kleine Hund den Kopf, entdeckte Rosa hinter der Scheibe und heulte sie an wie den Mond.
Sizilien
A m späten Vormittag landete Rosas Anschlussmaschine aus Rom in Palermo. Eine Limousine erwartete sie am Flughafen. Während der Fahrer ihren Koffer verstaute, döste sie bereits auf der Rückbank ein.
Irgendwo auf der Strecke erwachte sie frierend und stellte fest, dass Kälte für sie seit der Nacht im Central Park einen neuen, unguten Beigeschmack bekommen hatte. Sie bat den Fahrer, die Klimaanlage zu regulieren, und bald darauf schwanden auch das Gefühl des Gejagtseins und die Schwere des Winters aus ihren Gliedern.
Die Sonne schien golden durch die getönten Scheiben; obwohl es Mitte Februar war, sah es auf der Insel schon beinah nach Sommer aus. Vierzehn Grad Außentemperatur las Rosa
Weitere Kostenlose Bücher