Arkadien 02 - Arkadien brennt
am Armaturenbrett ab, kühler wurde es auf Sizilien tagsüber nur selten. Das war ein solcher Unterschied zur klirrend kalten Ostküste der USA, dass ihr in den nächsten Stunden wahrscheinlich nicht nur der Jetlag, sondern auch der Klimawechsel zu schaffen machen würde.
Die Autobahn zog sich durch die Weiten einer ockerfarbenen Ebene, an deren Rändern sich schroffe Berge erhoben. An den braungelben Hängen lagen Ruinen verlassener Gehöfte, die Trümmer des feudalen Siziliens. Gelegentlich rauschte hinter den Leitplanken der A19 eine Werbetafel vorüber, dann herrschte wieder sonnendurchglühte Leere. Einem der Gipfel war das weiße Schachtelgewirr eines Bergdorfs wie eine Kappe aufgesetzt worden. Dahinter hingen wattige Wolkenballen vor dem satten Tiefblau des Himmels.
Sie hätte niemals große Worte verloren über die Liebe, die sie beim allerersten Blick auf diese Landschaft verspürt hatte,aber sie empfand sie auch jetzt wieder – die Zuneigung für diesen Ort, der die uralte Geschichte des Mittelmeers atmete. Nach der Enge New Yorks, wo alles in die Höhe strebte – die Gebäude, die Erwartungen, die Egos –, war dies hier der größtmögliche Gegensatz: Die Welt reichte wieder über den Horizont hinaus.
Sie konnte es nicht erwarten, Alessandro zu sehen. Neben allem, dem sie mit Ablehnung entgegenblickte – ihren Beratern, Geschäftsführerinnen, nicht zuletzt dem Avvocato Trevini –, war es die Vorfreude auf ihn, die den Druck und den Schrecken der vergangenen Tage dämpfte. Am liebsten hätte sie den Fahrer gebeten, sie gleich zum Castello Carnevare zu bringen. Aber Alessandro saß im Konferenzraum einer seiner Firmen in Catania; sie hatte ihm verschwiegen, wann ihre Maschine landete, nur dass sie auf dem Weg nach Hause war, wusste er. Was sie mit ihm zu besprechen hatte, war nichts für Telefonate oder überfüllte Flughäfen. Und es gab einiges, über das sie reden mussten. Über eine Adresse, 85 Charles Street. Über eine Wohnung, die Tano gehört hatte.
Kurz flammte die Erinnerung an Mattia in ihr auf. Sie sah sein Gesicht vor sich, seinen letzten verzweifelten Panthersprung durch die Flammen. Hatten die anderen Carnevares ihn gestellt? Michele würde kein Erbarmen kennen mit einem Mann, der ihr das Leben gerettet hatte.
An der Abfahrt Mulinello verließen sie die Autobahn und rasten auf der Schnellstraße 117 nach Süden. Nach einer Weile tauchten links hinter den kahlen Bäumen der Dom von Piazza Armerina und die Dächer der Stadt auf. Rosa hatte erwartet, dass sie sich bei ihrer Rückkehr unwohl fühlen würde, aber tatsächlich geschah das Gegenteil: Sie war froh, wieder hier zu sein.
Gut zehn Kilometer südlich der Stadt, kurz nach der Gabelung Richtung Caltagirone, führte links eine Auffahrt in diebewaldeten Hügel. Ein schweres Gittertor glitt rumpelnd auf einer Führungsschiene beiseite, als die beiden Wächter den Wagen und seinen Fahrer erkannten.
Während sich das Tor hinter der Limousine wieder schloss, warf Rosa einen Blick durch die Heckscheibe. Ein silberner BMW fuhr an der Mündung vorbei nach Süden. Er war ihnen seit der Autobahnabfahrt gefolgt. Das Anti-Mafia-Team der Richterin Quattrini verfügte nur über eine begrenzte Anzahl von Wagen, und Rosa kannte die meisten. Der hier hatte sie schon vor ein paar Wochen beschattet. Sie schickte der Richterin eine SMS mit lakonischem Dank für das Empfangskomitee.
Der Weg führte zwei Kilometer sanft bergauf. Knorrige Oliven- und Zitronenbäume bedeckten einen Großteil des Hangs, an manchen Stellen wuchsen Pinienhaine. Als die Dächer des Palazzo Alcantara über den Baumkronen auftauchten, überkam sie doch noch jene Unruhe, auf die sie seit der Landung gewartet hatte. Auf dem Vorplatz parkte nur ein einzelner Wagen, ein klappriger roter Toyota, keine der Nobelkarossen ihrer Geschäftsführer. Gott sei Dank. Die Rostlaube gehörte Signora Falchi, Ioles Privatlehrerin.
Der Brunnen mit den steinernen Faunfiguren war nicht wieder in Betrieb genommen worden, aber die Gärtner sammelten keine Vogelnester mehr darin. Eine von Rosas ersten Anweisungen war die Aufhebung von Florindas Order gewesen, regelmäßig alle Nester aus den Bäumen der Umgebung zu entfernen und in dem Becken zu verbrennen. Sie nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass möglichst bald wieder Wasser aus den geschwärzten Speiern in den Brunnen floss.
Der Palazzo bestand aus vier Flügeln, angeordnet als Quadrat um einen Innenhof. An zahlreichen Stellen der
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