Arkadien 02 - Arkadien brennt
hat sie gerülpst wie ein Bauer! Vorgestern hat sie darauf bestanden, einen Hut mit Schleier zu tragen, den sie weiß der liebe Himmel wo gefunden hat. Und dann diese schrecklichen Duftkerzen!«
»Duftkerzen?«
»Die hat sie im Internet bestellt, sagt sie. Wissen Sie eigentlich, wie viele Stunden am Tag dieses Kind vor dem Computer verbringt?«
»Dieses Kind wird bald sechzehn.«
»Aber wir wissen beide, dass sie nicht auf dem intellektuellen Niveau einer Sechzehnjährigen ist.«
»Iole ist nicht behindert, Signora Falchi«, sagte Rosa entschieden.
»Das weiß ich. Und mir ist durchaus bewusst, was sie durchgemacht hat. Sechs Jahre in der Gewalt von Verbrechern … Aber das ändert nichts daran, dass sie sich bestimmten Regeln unterwerfen muss, wenn ich diese sechs Jahre mit ihr nachholen soll. Ich bin keine Therapeutin, aber als Pädagogin weiß ich, was ich zu tun habe. Und was nötig ist, um Iole zu einer gebildeten jungen Frau zu machen. Aber sie muss meinen Rat beherzigen, ob es ihr nun gefällt oder nicht.«
Rosa atmete tief durch, dann nickte sie. »Ich rede mit ihr.« Sie setzte ihren Aufstieg fort und trat neben die Lehrerin auf das Podest vor dem Eingang. »Aber ich bin nicht Ioles Mutter. Nicht mal ihre große Schwester. Vielleicht hört sie auf mich, vielleicht nicht. Wo steckt sie eigentlich?«
Signora Falchi rückte ihre Brille zurecht, blies die Backen auf und ließ die Luft mit einem ploppenden Laut entweichen. »Im Keller !«, stieß sie hervor.
»Was, zum Teufel, treibt sie im Keller?«
»Woher, zum Teufel , soll ich das wissen?«
Da war sie wieder. Die Verantwortung. Für die Geschäfte der Alcantaras, für ihre Beziehung zu Alessandro, nicht zuletzt für sich selbst – und auch für Iole. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich in einen der Sportwagen in der Garage zu setzen und mit zweihundert Sachen Richtung Küste zu rasen. Oder durch die Berge. Egal, wohin. Hauptsache allein.
»Reden Sie mit ihr«, sagte die Lehrerin und fügte dann erstaunlich sanftmütig hinzu: »Wenn Sie meine Hilfe brauchen oder meinen Rat, dann bin ich für Sie da. Für Sie beide, Signorina Alcantara.« Es war einer der wenigen Momente, in denen sie durchblicken ließ, dass sie sich sehr wohl im Klaren darüber war, dass ihre Auftraggeberin nur unwesentlich älter war als ihre Schülerin.
»Okay«, sagte Rosa, »danke. Ich kümmere mich darum.«
Alle Empörung schmolz von Signora Falchis Zügen und plötzlich lagen darin Verständnis und Mitgefühl. Sie war eine gute Pädagogin, und wenn sie auch eine entsetzliche Schreckschraube sein konnte, hatte Rosa doch bislang nicht ernsthaft bereut, sie eingestellt zu haben.
»Iole ist ein kluges Mädchen«, sagte die Lehrerin, »sie muss sich nur selbst eine Chance geben. Und mir.«
Rosa nickte und machte sich auf den Weg in die Kellergewölbe.
»Sie riechen nach Vanille! Und Mango! Und Bernstein! Und Schneeflocken!«
»Wie, bitte schön, riechen Schneeflocken?«
»Ich hab noch an keiner gerochen. Ich hab noch nie eine echte gesehen. Nur im Fernsehen.«
»Und Bernstein?«
»Wie Honig. Mit Himbeeren !« Iole stieß ein glückliches Lachen aus, ergriff Rosa an den Händen und zerrte sie in einem albernen Tanz einmal im Kreis herum. »Sie riechen so gut! Und es gibt so viele verschiedene! Und wenn man fünfhundert bestellt, kosten sie fast nichts mehr!«
»Shit. Du hast fünfhundert Duftkerzen bestellt?«
»Nur in dem einen Shop.« Iole ließ Rosa los, drehte sich aber weiter im Kreis. Ganz allein, an ihrer Kette in der Geiselhaft der Carnevares, hatte sie das oft stundenlang getan.
Rosa stöhnte. »In wie vielen Shops hast du eingekauft?«
»In allen, die so tolle Angebote hatten.« Sie gluckste vergnügt und blickte Rosa aus ihren hübschen Augen an, als könnte sie nicht fassen, dass die sie nicht verstehen wollte. »Genau deshalb machen sie doch Angebote! Damit alle dort billig einkaufen können. Auch Menschen, die wenig verdienen. Das ist so toll!«
»Und was genau machst du jetzt mit all den Kerzen?«
»Ich zünde jede Stunde eine andere an. Signora Falchi mag es auch, wenn es gut riecht.«
»Das ist gelogen.«
Aber Iole wechselte schon das Thema, während sie eine letzte Pirouette drehte und schwankend zum Stehen kam. »Alessandro hat angerufen.«
Rosa kaute an ihrem Nagel. »So?«
»Willst du gar nicht wissen, was er gewollt hat?«
»Du wirst es mir ja gleich erzählen.«
Iole senkte verschwörerisch die Stimme. »Er hat gefragt, wie’s
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