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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bitch.
    Alessandro seufzte. »Ich wollte diese Familie anführen, und nun werde ich von ihr geführt.«
    »Tja«, entgegnete sie mit einem Augenaufschlag, den sie hart trainiert hatte, »das hättest du dir früher überlegen müssen, nicht wahr?«
    Eine Lautsprecherstimme meldete das Boarding für ihren Flug.
    »Wahrscheinlich werde ich jede Nacht von dir träumen«, sagte er. »Und wenn ich aufwache, weiß ich, dass der beste Teil des Tages schon vorbei ist.«
    »Das hast du irgendwo gelesen.«
    »Hab ich nicht.«
    Sie küsste ihn nun doch wieder, sehr lange und sehr zärtlich. Er schmeckte noch immer wie eine andere Welt. Die Schlange atmete schon in ihrem Brustkorb, als er die Arme um sie legte.
    »Hey«, rief sie lachend. »Mein Flug. Das Gate. Ich muss –«
    »Das hier darf niemals aufhören«, flüsterte er.
    Sie strich durch sein widerspenstiges Haar. »Niemals.«
    Dann löste sie sich aus seiner Umarmung, schnappte sich ihre Tasche und hastete zum Ausgang.

New York
    W as Rosa am Abend vorfand, war nicht ihr New York, sondern das der Touristen und Theaterbesucher, das glitzernde Tollhaus der Nomaden des Broadway.
    Es war fast dreißig Grad kälter als auf Sizilien. Ihre Jacke war zu dünn, ihre Nase lief und im Koffer hatte sie nur einen einzelnen Handschuh gefunden. Home sweet home.
    Müde trat sie aus dem Foyer des Millennium -Hotels, stapfte durch Schnee um die zuckerstangenbunte Eckfassade eines Toys’R’Us und stand auf dem Times Square, inmitten von dichten Menschenströmen, funkelnden Billboards und Videowänden.
    Sie hatte fast ihr ganzes Leben in New York verbracht – allerdings auf der anderen Seite des East River. Das Treiben zwischen Wall Street und Bronx kannte sie besser aus dem Fernsehen als aus eigener Erfahrung.
    Rosa war in Brooklyn aufgewachsen, in einer der schäbigeren neighborhoods ohne Manhattan-Skyline vor dem Fenster. Ihr Zuhause war eine Bruchbude gewesen, mit zu vielen Mietern in zu engen Apartments. Mit Graffiti im Treppenhaus, maroder Zentralheizung, zugigen Fenstern und klappernden Feuerleitern, die einen während der Herbststürme in den Wahnsinn trieben. In den Schächten vor den Kellerfenstern wurden Katzenjunge neben verendeten Ratten geboren, und Rosa konnte sich an nicht nur eine Kakerlakenplage von apokalyptischem Ausmaß erinnern.
    Rundum gab es endlose Reihen von Häusern wie ihrem, hoch umzäunte Basketballfelder und schmuddelige Spielplätze, auf denen tagsüber junge Mütter in Sandkästen stierten und nachts die Ghettoblaster dröhnten. Schaukelnde Ampeln baumelten an Kabeln über den Straßen. Von Baumstämmen blickten fotokopierte Gesichter: vermisste Kinder, Hunde und Katzen. Unter Fensterbänken hingen verblichene Nationalflaggen. Und manchmal, bei Nacht, rollte ein leerer Kinderwagen brennend über eine Kreuzung als Kriegserklärung einer Gang im Kampf gegen die Langeweile.
    Das war Rosas New York gewesen. Heute aber, nur wenige Monate nachdem sie all das hinter sich gelassen hatte, wohnte sie in einem schicken Hotel, das ihr Sekretariat in Piazza Armerina für sie gebucht hatte. Sie zahlte mit einer platinfarbenen Kreditkarte und wurde vom Concierge des Hotels mit »Signora Alcantara« angesprochen. Vor einem halben Jahr hätte er sie sofort hinauswerfen lassen. Sie kam sich nicht nur fremd vor in dieser Stadt, sondern fremd im eigenen Körper, hineinretuschiert in die Identität einer anderen.
    Fast eine Stunde lang wanderte sie umher, ließ sich von der Masse der Passanten mitziehen und entschied schließlich, dass sie einen schmutzigen Hinterhof brauchte, eine eingeschneite Sackgasse, ein stilles Auge in diesem Tornado von einer Metropole. Sie fand eine Gasse, aufgeräumter, als sie gehofft hatte, aber heruntergekommen genug, um sie an das New York zu erinnern, das sie kannte. Sie spürte durch den Schnee den abgenutzten Asphalt, lauschte auf das Getöse des Straßenverkehrs und roch den abgestandenen Muff, der aus einem Luftgitter der U-Bahn dampfte.
    Dass die Sehnsucht sie ausgerechnet in diesem Augenblick mit voller Breitseite traf, war eine Frechheit, aber sie kam nicht dagegen an. Im einen Moment dachte sie »Hier bin ich also«, im nächsten »Schöner wär’s, wenn er hier wäre«. Bald würde sie davon träumen, seine Hemden zu bügeln.
    Fast ein wenig widerwillig kramte sie nach ihrem iPhone, nahm schon an, irgendwer hätte es ihr im Getümmel gestohlen, meinte aber schließlich, es zwischen Papiertaschentüchern,Augentropfen und einem

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