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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Carnevare und blickte über die Ebene am Fuß des Burgberges. Das Land war nicht so flach, wie es auf den ersten Blick erschien; je weiter man sich vom Castello entfernte, desto hügeliger wurde die Gegend. Hier im Zentrum Siziliens war die Landschaft karg und unwirtlich, ein Meer aus ockerfarbenen Bodenwellen, durchzogen von ausgetrockneten Flussbetten, über die sich uralte Brücken aus Bruchstein spannten. Die Sonne war im Westen hinter dem Horizont versunken. Auf einer Straße, einige Kilometer entfernt, fuhr ein einzelnes Auto. Seine Scheinwerfer waren zwei einsame Sterne inmitten der Düsternis.
    Rosa und Alessandro kauerten in Decken gehüllt ganz eng beieinander. Beide hatten die Knie angezogen und die dicke Wolle eng um die Körper geschlungen. Sie saßen unmittelbar am Abgrund; falls jemand sie von hinten stieß, gab es keinen Halt. Fünfzehn Meter bis zum Fuß der Burgmauer, dann ein ungebremster Sturz den felsigen Hang hinunter.
    Aber Rosa spürte nicht einmal Unruhe. Nirgends hatte sie sich je so geborgen gefühlt wie bei ihm, ihre Schulter an seiner, ihre Finger fest mit seinen verhakt.
    »Ich liebe dich«, sagte er.
    Es kam so unvermittelt, dass sie schluckte. Ganz gleich, worüber sie gerade eben noch gesprochen hatten – ihre Empfindungen waren im Einklang, sie fühlten beide dasselbe. Die Bereitschaft, füreinander da zu sein, für immer.
    Sie sagte nichts. Sie konnte es noch immer nicht, brachte die Worte einfach nicht über die Lippen, nicht so , dass sie echt klangen, wahrhaftig. Schon wenn sie diesen Satz dachte, Ich liebe dich , hörte er sich für sie gekünstelt an. Sie hatte versucht, es ihm zu erklären, und in seinen Augen las sie, dass er verstand.
    Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, spürte seine Lippen in ihrem Haar.
    »Wie machst du das?«, fragte sie und blickte in die Ferne.
    »Was?«
    »So zu sein, wie du bist. Mich gernzuhaben, trotz allem, was ich dir gerade erzählt habe.«
    »Das hat nichts mit uns zu tun. Was deine Großmutter getan hat – das ist so lange her. Wir können doch nichts für das, was unsere Vorfahren verbrochen haben.«
    Sie hob den Kopf. Im Grün seines Blickes spiegelte sich der Horizont. Einige Herzschläge lang sah sie die Welt mit seinen Augen. Größer, weiter, und trotzdem so nah, dass man danach greifen konnte. Für ihn war nichts unerreichbar.
    Sie hatte ihm alles erzählt. Nicht nur von dem grausigen Fund im Kühlkeller, auch von ihrem Besuch bei Trevini und dem Abkommen, das sie mit ihm geschlossen hatte. Und von der gefangenen Valerie.
    »Ich muss es loswerden«, sagte sie und erkannte gleich darauf, dass er das falsch verstehen könnte. »Nicht sie . Das Zeug im Keller, meine ich. Aber wenn ich es verbrennen lasse, laufe ich Gefahr, dass irgendwer die Namen an den Pelzen sieht.«
    »Wir können die Schilder vorher abreißen.«
    »All die Fässer öffnen? Jeden einzelnen Pelz in die Hand nehmen?« Sie schüttelte den Kopf. »Lieber ziehe ich woandershin und lasse den ganzen Palazzo in die Luft sprengen.«
    »Mit woandershin meinst du –«
    »Nicht hierher. Das wäre nicht gut … nicht sicher«, fügte sie nach einem Moment hinzu. »Komisch genug, dass sie überhaupt zulassen, dass wir uns sehen.«
    »Die meisten haben im Moment andere Sorgen.«
    »Der Hungrige Mann?«
    Alessandro nickte. »Die einen fürchten mehr denn je, dass seine Rückkehr kurz bevorsteht. Und die anderen können es gar nicht mehr erwarten. Allein die Aussicht, dass er irgendwann vom Festland zurück nach Sizilien kommen könnte, lässt sie aufeinander losgehen. Ich hab’s gesehen, in einem Konferenzraum in Catania … Kultivierte Männer in teuren Anzügen. Sie hätten sich buchstäblich auf dem Konferenztisch zerfleischt, wenn wir anderen sie nicht auseinandergerissen hätten. Sie haben sich verwandelt, diese Idioten. Ein Glück, dass nur Arkadier im Raum waren, sonst –«
    »Es gerät außer Kontrolle, oder? Die alten Regeln der Dynastien, die Gesetze des Tribunals, all die Abkommen, um den Frieden aufrechtzuerhalten … Nicht mehr lange, und das alles bedeutet gar nichts mehr.«
    Er lächelte traurig. »Ich kenne einige, die behaupten, die Sache mit uns beiden ist schon ein Teil davon. Nichts ist mehr, wie es war. Alcantaras und Carnevares unter einer Decke.«
    Sie zupfte an ihrer. »Zwei Decken. Mist auch.«
    Er wandte den Oberkörper zu ihr und schob eine Hand unter die weiche Decke. Seine langen, schönen Finger berührten ihren nackten Oberschenkel.

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