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Arkadien 03 - Arkadien fällt

Arkadien 03 - Arkadien fällt

Titel: Arkadien 03 - Arkadien fällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Menschen lebten. Dennoch kam sie an mehreren Café-Bars vorbei, die um diese Uhrzeit noch geöffnet hatten. In ihrem Aufzug konnte sie unmöglich dort hineingehen, und doch musste sie irgendwie herausfinden, ob es hier früher eine Klinik gegeben hatte. Und falls ja, ob noch Menschen in Campofelice lebten, die dort gearbeitet hatten.
    Aber es war fast Mitternacht und sie sah ein, dass sie diese Leute nicht finden würde, indem sie ziellos durch die Straßen fuhr. Stattdessen verließ sie den Ort, parkte den Honda zwischen schützenden Felsen und folgte einem spärlich beschilderten Fußweg zu einer kleinen Quelle. Wie jedem zweiten Wasserloch auf Sizilien wurden auch ihr heilsame Kräfte zugesprochen.
    So gut es eben ging, wusch sie sich in dem schmalen Rinnsal. Sie weichte das schwarze T-Shirt ein, wrang es aus und zog es sich nass wieder über. Aus der Jeans würde sie die Flecken kaum herausbekommen, darum sparte sie sich die Mühe. Als sie durch die dunkle Landschaft zurück zum Auto stolperte, folgte ihr der Schlachtereigeruch noch immer.
    Sie übernachtete im Honda, die Pistole zwischen Sitz und Handbremse geklemmt.
    Strahlendes Blau und das Gebimmel von Ziegenglocken weckten sie am Vormittag. Erschöpft, wie sie war, hätte sie wahrscheinlich bis zum Abend weitergeschlafen, wenn es sich nicht eine Herde Ziegen rund um den Wagen bequem gemacht hätte. Sie befand sich ein Stück abseits des Feldweges, in den sie von der einzigen Landstraße weit und breit abgebogen war.
    Das Gemecker der Tiere war laut genug, um Tote zu wecken; dazu klingelten Dutzende Glöckchen. Als sie sich umschaute, entdeckte sie einen wettergegerbten alten Mann. Er saß abseits der Herde im Gras, in einer Hand einen antiquierten Hirtenstab, in der anderen eine Zigarette. Wortlos blickte er herüber, vielleicht starrte er sie schon ewig so an.
    Sie kurbelte die Scheibe herunter. »Entschuldigen Sie«, rief sie. »Sind Sie aus der Gegend?«
    »Seh ich aus, als ob ich hier Ferien mache?« Seine Reibeisenstimme ließ ihn noch älter erscheinen.
    »Ich suche ein Krankenhaus.«
    »Welches Krankenhaus?«
    »Vielleicht ist es kein richtiges Krankenhaus, sondern eher so was wie eine Sanitätsstation.«
    »Gibt’s hier nicht.«
    Die Enttäuschung in ihrem Gesicht musste ihr sogar über die Entfernung anzusehen sein.
    »Es gibt eine Ärztin unten im Dorf«, sagte er. »So ’n junges Ding aus Palermo. Sagt, ich brauch dringend Massagen. Was hätte meine Frau dazu gesagt, Gott hab sie selig? Massagen, auf Staatskosten. Wie die hohen Herren in Rom, was?« Er lachte meckernd. »Die jungen Leute haben merkwürdige Ideen. Kein Wunder, dass das Scheißfernsehprogramm so schlecht ist.«
    »Kein Wunder«, pflichtete sie ihm bei, ohne den zwingenden Zusammenhang zu erkennen. »Also, es könnte auch so was Ähnliches wie eine Klinik sein. Ein Ort, an dem Wissenschaftler arbeiten.«
    »Für Forschungen?«
    Ihre Zunge fühlte sich pelzig an wie ein Ziegenohr. »Ja, genau.«
    »Es gibt ’ne alte Wetterstation.«
    »Hm, nein, die eher nicht.«
    »Und dann noch die Basis natürlich.«
    »Welche Basis?«
    Er erhob sich von seinem Platz im Gras und kam herüber. »Wo sich die Widerstandskämpfer im Krieg verkrochen haben, damals, in den Vierzigern. Wir Kinder haben bei ihnen Sachen getauscht gegen Zigaretten. Volle Patronen, die wir aufgesammelt hatten. Haben mal ’ne Tretmine gefunden, die hat Salvo Pini das halbe Bein weggerissen. Er hat dann nie wieder ’nen Glimmstängel angefasst, niemals wieder. Gestorben ist er trotzdem an Krebs. Arschkrebs. Kam nicht vom Rauchen, das steht mal fest.«
    »Und diese Basis –«
    »Danach hat das Militär auf dem Gelände Übungen gemacht. Die Zäune haben sie gleich noch ein gutes Stück höher gebaut. Stacheldraht, Elektrozaun, all so ’n Zeug. Die Kommunisten mögen so was. Stacheldraht und Mauern.«
    Unwillkürlich dachte sie an Autopsietische mit silbernen Oberflächen, an blitzendes OP-Besteck. Sie dachte an lange Reihen von Käfigen, in denen lebende Versuchsobjekte eingesperrt waren.
    »Heute steht das alles leer«, sagte der Ziegenhirte. »Ist ’ne Weile her, seit die letzten Transporter auf der alten Straße gefahren sind.«
    »Wie lange?« Sie fand den Gestank der Ziegen nicht viel erfreulicher als den Blutgeruch ihrer Jeans. »Ich meine, wann haben die den Laden dichtgemacht?«
    »Vor dreißig, vierzig Jahren. War keine große Sache, weil von uns keiner viel mit denen zu tun hatte. Haben sogar ihre Ziegenmilch

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