Arktis-Plan
aufschnappen, zählte bis zwei und schleuderte die kleine Granate über den Eiswall. Er wartete auf den hohlen Klang der Detonation, sprang dann mit einem Satz hinter dem Felsbrocken hervor und rollte sich über den gefrorenen Strand, um die Männer, die auf ihn geschossen hatten, in seinen Schusswinkel zu kriegen.
Vlahowitsch kam auf die Knie und sah einen verwundeten Speznas-Soldaten neben einem zweiten getroffenen Mann knien. Er richtete die Agram auf sie und leerte die Maschinenpistole in einer einzigen Salve, die sowohl auf den Verwundeten als auch auf den Sterbenden gerichtet war.
Erst als der Bolzen ins Leere schlug, nahm Vlahowitsch plötzlich die Stille wahr. Er war der Letzte gewesen, der Schüsse abgegeben hatte. Die einzigen verbliebenen Geräusche waren das Knirschen und Surren des Packeises und das Zischen seines eigenen Atems. Wankend stand er auf und nahm ein frisches Ersatzmagazin aus seiner Patronentasche.
Die Russen waren urplötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, während Vlahowitsch und seine Männer durch ihre Suche nach der Frau abgelenkt waren. Die Anwesenheit der Waffenschmuggler hatte die Speznas anscheinend ebenso sehr überrumpelt wie es umgekehrt der Fall gewesen war. Es war die Form von Angriff gewesen, die nur bei einer gänzlich unerwarteten Begegnung zustande kam, und das waren zwangsläufig immer die chaotischsten und brutalsten Schlachten.
»Laszlo«, rief er, während er das leere Magazin auswarf und das neue gewaltsam in den Magazinschacht der Agram schob. »Laszlo! … Vrasek! … Prischkin! Zu mir!«
Niemand antwortete. Das Eis war mit Blut gemasert. Die verstreuten Körper lagen regungslos da. Sowohl die Feinde als auch seine Männer.
»Laszlo! … Prischkin!«
Er drehte sich langsam im Kreis und sah sich um. Es war ein Massaker. Sie hatten sich gegenseitig ausgelöscht. Einander abgeschlachtet. Er war der einzige Überlebende von beiden Seiten.
»Laszlo?«
Dann hörte er das ferne rhythmische Schlagen von Rotoren. Es war die Halo. Vom tiefsten Punkt der Landspitze aus konnte er sie nicht sehen, aber er konnte die Fluggeräusche verfolgen. Sie flog zum Gletscher hoch. Kretek brachte das Anthrax an sich, und Vlahowitsch wusste ohne jede Spur eines Zweifels, dass er nicht zurückkommen würde.
Und endlich gestand sich Vlahowitsch etwas anderes ein, das er tief in seinem Innern schon seit langer Zeit gewusst hatte: Anton Kretek würde ihn eines Tages in dieser Form verraten und im Stich lassen.
»Kretek, du Dreckschwein!« Fast hätte der Schrei seine Kehle gesprengt.
»Er ist wirklich kein allzu netter Mensch.« Die Stimme hatte einen Plauderton angeschlagen. Es war eine Frauenstimme, und sie ertönte direkt hinter ihm.
Als Vlahowitsch herumwirbelte, sah er die Frau sechs bis sieben Meter vor sich stehen. Gerade eben war sie noch nicht da gewesen, sie hatte sich so lautlos angeschlichen wie eine Katze auf der Jagd. Sie trug die rote Skihose der Blondine, die sie am Tag zuvor gefangen genommen hatten, und das grüne Sweatshirt, das dieses Miststück der Leiche von Kreteks Neffen gestohlen hatte. Die überlangen Ärmel waren hochgerollt. Aber das war nicht die amerikanische
Blondine mit den braunen Augen. Sie hatte die Kapuze des Sweatshirts abgesetzt, und darunter waren hochgestecktes rabenschwarzes Haar und eisige graue Augen zu sehen. Außerdem sprach sie mit einem Akzent, der so ähnlich wie Britisch klang. Sie stand entspannt da und hatte die Arme locker unter ihrer Brust verschränkt.
»Aber andererseits sind Sie ja auch nicht gerade ein allzu netter Mensch«, fuhr sie fort. Und dann lächelte sie.
Ein sonderbares zügelloses Entsetzen stieg in Vlahowitsch auf. Es gab keine Rechtfertigung dafür. Er war ein Mann mit einer geladenen Maschinenpistole in der Hand, und sie war eine unbewaffnete Frau. Und doch befiel ihn die Furcht, die ein zum Tode verurteilter Häftling verspürt, wenn er die Schritte seines Henkers nahen hört. Er hob die Agram und versuchte, den Schlagbolzen der Maschinenpistole zurückzuziehen, doch er war nervös und stellte sich ungeschickt an.
Das erste Messer bohrte sich in seine rechte Schulter und lähmte seinen Arm. Das zweite traf ihn mitten in die Brust und stieß sich durch sein Brustbein ins Herz.
Valentina Metrace gestattete sich einen tiefen, bedächtigen Atemzug. Ein Feind war tot, und sie und ihre Freunde waren noch am Leben. So sollte es sein. Sie kniete sich neben Vlahowitschs Leiche und brachte ihre Messer wieder an sich.
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