Arm und Reich
traditionell angenommenen früheren Zeitpunkten des Beginns der Pflanzendomestikation in Amerika aus, so vergingen nicht 1500 bis 2000, sondern 5000 Jahre, bis Dörfer entstanden, die auf Landwirtschaft basierten. Im Unterschied dazu war die Entstehung von Dörfern in großen Teilen Eurasiens zeitlich eng mit dem Beginn der Landwirtschaft verknüpft. (Die Jagd- und Sammelwirtschaft war in manchen Gebieten beider Hemisphären schon vor dem Aufkommen der Landwirtschaft ertragreich genug, um die Entstehung von Dörfern zu ermöglichen – in der Alten Welt beispielsweise in Japan und Vorderasien, in der Neuen Welt in Küstengebieten Ecuadors und im Amazonasgebiet.) Welchen Stellenwert der Mangel an domestizierbaren Wildpflanzen und -tieren in der Neuen Welt hatte, veranschaulichen die Veränderungen, die in indianischen Gesellschaften durch das Eintreffen fremder Anbaupflanzen oder Haustiere aus anderen Teilen Nord- und Südamerikas beziehungsweise aus Eurasien ausgelöst wurden. Beispiele hierfür sind die Ankunft von Mais im Osten der USA und im Amazonasgebiet, die Einführung des im südlichen Andenraum domestizierten Lamas in den nördlichen Anden und das Auftauchen des Pferdes in vielen Teilen Nord- und Südamerikas.
Neben Eurasiens früherem Start und seinen Tier- und Pflanzenarten trug auch die leichtere Ausbreitung von Tieren, Pflanzen, Ideen, Techniken und Menschen zur Beschleunigung der dortigen Entwicklungen bei. Die Ursache liegt in verschiedenen geographischen und ökologischen Faktoren. Im Gegensatz zur in Amerika dominierenden Nord-Süd-Achse ermöglichte die eurasische Ost-West-Achse die Ausbreitung von Pflanzen und Tieren, Menschen und kulturellen Errungenschaften ohne einen wesentlichen Wechsel der geographischen Breite und der damit verbundenen Umwelteigenschaften. Anders als Eurasien mit seiner relativ konstanten Breite entlang der gesamten Ost-West-Ausdehnung verengt sich die Neue Welt in Mittelamerika und besonders in Panama zu einem Nadelöhr. Nicht zuletzt waren Nord- und Südamerika auch durch Gebiete, die sich für landwirtschaftliche Zwecke oder eine dichte menschliche Besiedlung nicht eigneten, stärker zergliedert. Ökologische Barrieren dieser Art waren beispielsweise die Regenwälder der Landenge von Panama, die mesoamerikanische Zivilisationen von solchen in den Anden und im Amazonasgebiet trennten, die Wüsten im Norden Mexikos, die als Hindernis zwischen Mesoamerika und den Zivilisationen im Südwesten und Südosten der USA lagen, texanische Trockengebiete zwischen dem Südwesten und dem Südosten der USA sowie die Wüsten und hohen Berge, die Gebiete an der Pazifikküste der USA, die an sich für Landwirtschaft gut geeignet waren, unzugänglich machten. Die Folge war, daß zwischen den Zivilisationszentren in Mesoamerika, im Osten der USA, in den Anden und im Amazonasgebiet kein Transfer von Haustieren, Schrift oder politischen Organisationsformen und nur eine begrenzte beziehungsweise äußerst langsame Diffusion von Anbaupflanzen und technischen Neuerungen stattfand.
Einige Konsequenzen dieser inneramerikanischen Barrieren verdienen besondere Erwähnung. So fand die Landwirtschaft vom Südwesten der USA und vom Mississippital nie den Weg zu den heutigen amerikanischen Kornkammern in Kalifornien und Oregon, deren indianische Bewohner Jäger und Sammler blieben, weil es ihnen schlichtweg an geeigneten Anbaupflanzen und Haustieren mangelte. Aus dem Andenhochland gelangten Lamas, Meerschweinchen und die Kartoffel nie ins Hochland von Mexiko, so daß Mesoamerika und Nordamerika ganz ohne domestizierte Säugetiere (vom Hund abgesehen) auskommen mußten. In umgekehrter Richtung drang die domestizierte Sonnenblume aus dem Osten der USA nie bis nach Mesoamerika vor, und der domestizierte Truthahn schaffte es von Mesoamerika aus weder bis nach Südamerika noch in den Osten der USA. Mais und Bohne brauchten 3000 beziehungsweise 4000 Jahre, um die gut 1100 Kilometer von den Ackern Mexikos bis zu denen im Osten der USA zu überwinden. Nachdem der Mais dort endlich eingetroffen war, vergingen sieben weitere Jahrhunderte, bis eine an die nordamerikanischen Klimaverhältnisse angepaßte Sorte gezüchtet war; vermutlich löste sie am Mississippi die Entstehung der Moundbuilder-Kultur aus. Mais, Bohnen und Kürbisse benötigten möglicherweise mehrere Jahrtausende, um von Mesoamerika in den Südwesten der USA zu gelangen. Während
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