Armageddon 05 - Die Besessenen
Polizei hatten sein Profil in ihren neuralen Nanoniken gespeichert, zusammen mit Hunderten anderen Gelegenheitskriminellen. Simon benutzte alle vierzehn Tage kosmetische Adaptionspacks und veränderte damit sein Gesicht, obwohl seine Größe und Gestalt immer die gleiche blieb. Es war das Auftreten, das man ändern mußte, wollte man verhindern, daß ein Vergleichsprogramm in den Primärmodus geschaltet wurde. An manchen Tagen ein schick gekleideter kleiner Junge, der sich verlaufen hatte, an anderen ein beschützerischer großer Bruder (mit der fünfjährigen Tochter eines Cousins, der dafür Geld bekam …), aber niemals arm. Arme Leute hatten im Weltraumbahnhof nichts zu suchen. Selbst die Standverkäufer trugen schicke Uniformen ihrer jeweiligen Franchise-Unternehmen, zusammen mit dem entsprechenden Franchise-Lächeln.
An diesem Tag trug Simon selbst eine Franchise-Uniform: Die rote und saphirfarbene Tunika von Cuppa-maica, dem Kaffee-Café. Unauffällig durch Banalität. Niemand schöpfte Mißtrauen gegenüber Leuten, die hier arbeiteten. Er sah die beiden Mädchen in dem Augenblick, als sie durch den Ausgang der Einwanderungs- und Zollkontrolle kamen. Es war, als hätten sie ein grelles Werbehologramm über ihren Köpfen: Easy. Simon konnte sich nicht erinnern, jemals so offensichtlich Fremde gesehen zu haben. Beide starrten mit offenen Mündern und großen Augen um sich, entzückt und voller Staunen angesichts der Großartigkeit der Umgebung. Das kleinere der beiden Mädchen kicherte albern und zeigte auf die Transit-Etiketten, körperlose Flitter aus buntem Licht, die wie wahnsinnig gewordene Libellen über den Köpfen hin und her jagten und die Passagiere in die richtigen Bahnen lenkten.
Simon war augenblicklich hellwach. Er löste sich von dem Nudelstand, an dem er gelehnt hatte, als wäre er von einem nuklearen Puls aufgescheucht worden. Er ging in schnellem Tempo auf die beiden Mädchen zu, und hatte äußerste Mühe, nicht zu rennen, so groß war der Drang in ihm. Der Gepäckwagen summte unablässig laut hinter ihm, und seine kleinen Motoren hatten Mühe, nicht den Anschluß zu verlieren. Simons hauptsächliche Sorge galt der Frage, ob andere seines Schlages die beiden bemerkt hatten. Es würde in eine Freßorgie ausarten.
Louises Beine wollten ihr nicht gehorchen. Die anderen Passagiere hatten sie und ihre kleine Schwester durch die Zollkontrolle geschwemmt und noch ein paar Meter weiter in die gigantische Halle geschoben, bevor die Umgebung auf ihre Nerven einwirken konnte. Die Ankunftshalle war gewaltig. Ein Stadion aus buntem Kristall und Marmor, gesättigt mit Lärm und Licht. Wahrscheinlich wimmelten hier mehr Leute, als auf ganz Kesteveen Island lebten. Genau wie Louise hatten alle diese automatischen Kofferkulis bei sich, was das Chaos noch verstärkte. Die flache längliche Kiste war ihnen von der Betreibergesellschaft der Liftkapsel zur Verfügung gestellt worden. Der Schalterbeamte an der Gepäckausgabe hatte die Koffer der beiden Mädchen achtlos hineingeworfen und Louise eine runde Karte ausgehändigt. Er hatte ihr versprochen, daß der Kuli ihnen überallhin folgen würde, solange sie die Karte bei sich behielten. Sie war gleichzeitig der Schlüssel, um den Kuli wieder zu öffnen, wenn sie unten auf dem Bahnsteig ihres Vakuumzuges angekommen wären. »Anschließend sind Sie auf sich allein gestellt«, hatte er gesagt. »Versuchen Sie nicht, den Kuli mit in den Waggon zu nehmen. Er ist Eigentum der MKS, und es ist nicht gestattet, ihn vom Gelände des Orbitalaufzugs zu entfernen.«
Louise hatte ihm fest versprochen, daß sie es nicht tun würde. »Wie kommen wir nach London?« fragte Genevieve mit schüchterner Stimme. Louise warf einen suchenden Blick auf die Schwärme irrsinniger Photonen über ihren Köpfen. Es waren Kugeln voller enger Schriftzeichen oder Nummern, und es mußte sich logischerweise um eine Art Reiseinformationen handeln. Allerdings hatte Louise nicht die leiseste Ahnung, wie sie zu lesen waren.
»Wir gehen zu einem Reisebüro«, antwortete sie. »Dort wird man uns weiterhelfen. Wir müssen sowieso erst noch Tickets nach London kaufen.«
Genevieve drehte sich einmal um die eigene Achse und überflog das Gewimmel aus Leibern und Kofferkulis. »Und wo ist ein Reisebüro?«
Louise nahm den Prozessorblock aus ihrer Umhängetasche. »Ich werde es herausfinden«, sagte sie entschlossen. Schließlich mußte sie lediglich Verbindung zu einem lokalen Netzprozessor
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