Arminius
Varus zu. Aber dann erschien ein Marser, dessen Stamm weit entfernt jenseits des Rhenus lebte, und klagte gegen den Steuerpächter Lucius Marcus Lupus, weil der ihm seine ganze Herde von zwanzig Rindern weggenommen habe und er nun vor dem Nichts stünde. Marcus lieferte eine Schmierenkomödie ab. Er gab sich zutiefst beleidigt und beteuerte dem Statthalter, dass der Marser ihm seit zwei Jahren die Steuer schulde. Und da der Bauer auch beim letzten Mal wieder gejammert und behauptet habe, kein Geld zu besitzen – und sich auch tatsächlich nicht einmal eine Kupfermünze bei ihm fand, als man das Haus durchsuchte –, habe er eben die Herde als Gegenwert für die Schuld genommen.
Der Bauer wandte ein, dass sich die Schulden auf eine Sesterze beliefen, die Herde jedoch zwei Sesterzen wert wäre. Der Steuerpächter habe ihm also eine Sesterze oder zehn Rinder mehr genommen, als er ihm schuldete.
Marcus tat, als fühle er sich durch diese Worte persönlich verletzt, als seien sie Ausdruck tiefster Niedertracht. »Oh, Varus, welch schreiender Undank spricht aus dem lügnerischen Munde dieses verschlagenen Kerls, der in Reichtum schwelgt und Augustus betrügen will. Ich habe ihm nicht mal Zinsen berechnet für seine Steuerschuld! Aber bedenke, dass ich die Herde zum Viehmarkt treiben, sie dort verkaufen muss, um an mein Geld zu kommen, und der Preis zudem schwankend ist. Darum ist es ja wohl nur recht und billig, dass ich meine Unkosten in Rechnung stelle.«
»Mir scheint, da hast du noch knapp gerechnet«, sagte Varus und nickte zustimmend.
»Wie viel verdienst du je Sesterze eingetriebener Steuer, Marcus?«, mischte sich Arminius ein.
Marcus blitzte ihn feindselig an und schnitt ein Gesicht, als habe er gerade in eine Zitrone gebissen. »Ich wüsste nicht, wen das etwas angeht.«
»Oh, verehrter Marcus, das geht alle etwas an, denn mir scheint, dass dein Aufwand beim Eintreiben des Geldes bereits mit eingerechnet ist und nicht obendrauf. Und was den vermeintlichen Reichtum dieses Mannes hier betrifft, ist die Angelegenheit doch recht einfach. Bürger, schaut doch nur auf den Bauern, und schaut auf Lucius Marcus Lupus, und dann sagt mir, wer reich und wer arm, wem die Sesterze zu geben und wem sie zu nehmen ist!«
»Ist ja gut, ist ja gut«, fiel ihm Varus ärgerlich ins Wort.
»Es ist ein großes Glück für uns«, fuhr Arminius freundlich fort, »einen so gerechten Statthalter wie den verehrten Quinctilius Varus zu haben, der Recht spricht ohne Ansehen der Person. Denn dieser unparteiischen Rechtsprechung kann sich jeder Bewohner der Provinz, ganz gleich ob Germane, Gallier oder Römer, vertrauensvoll unterordnen. So will es Augustus, dass euch allen ohne Ansehen der Herkunft und des Standes Gerechtigkeit widerfährt.«
Varus erblasste, als Jubel ausbrach, und der Steuerpächter durchbohrte Arminius mit hasserfüllten Blicken.
»Nun denn, so ergehe als Recht, dass dem Kläger eine Sesterze, die zuvor zu viel erhoben wurde, vom Steuerpächter zurückzuzahlen ist«, verkündete Varus mit fester Stimme, als habe dies von Anfang an seiner Auffassung entsprochen.
Am Nachmittag befahl Varus den jungen Mann zu sich. »Du magst ja ein großer Kämpfer sein, aber wage es nicht, dich noch einmal in meine Rechtsprechung einzumischen!«
»Was geht mich der Bauer an? Ich habe es für dich getan, Varus!«
Der Statthalter musterte Arminius mit einem langen Blick.
»Dass Marcus die Provinz aussaugt, nur um sich persönlich zu bereichern, weißt du. Willst du, dass die Menschen dich für seinen Handlanger halten und dafür hassen?« Arminius legte eine kurze Pause ein, bevor er mit dem freundlichsten Gesicht und der heitersten Stimme fortfuhr: »Möchtest du Augustus’ Sonne in der entstehenden Provinz verdunkeln oder zum Strahlen bringen? Sollen die Bewohner Augustus und dich hassen oder euch lieben? Denn du bist für sie Augustus, vergiss das nicht!«
Zu Arminius’ Verblüffung verwandelte sich der Zorn des Statthalters von einem Moment zum anderen in eine ausgesuchte Liebenswürdigkeit. »Du hast recht, mein Lieber. Wir wollen die Menschen lehren, uns zu lieben.«
Sie plauderten noch eine Weile, dann entließ ihn Varus mit dem Hinweis, Arminius brauche künftig seine Zeit nicht mehr bei Gericht zu vertrödeln, sondern sie lieber seinen Truppen widmen.
In der Tat sehnte sich Arminius danach, endlich das Kommando über die germanischen Hilfstruppen zu übernehmen und die siebentausend Mann, die unter Waffen standen
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