Arminius
Gegner war stark, erfahren und grausam. War es nicht besser, das Unternehmen abzubrechen und sich zu unterwerfen? Wer war er denn, sich gegen die Macht der Welt zu erheben? Nur ein kleiner germanischer Fürst. Was aber kann Größe gegen Entschlossenheit ausrichten, was die Macht gegen den Willen der Götter, die ihn zum König der Krieger erwählt hatten, und was der Zwang gegen die Freiheit? Sooft ihn auch Zweifel plagten, für ihn gab es keinen Weg mehr zurück. Die Nornen hatten ihren Spruch getan.
Die folgende Nacht verbrachte er im Wald, allein mit sich und der Natur. Er hörte im Unterholz die Wölfe, sah das hungrige Leuchten ihrer gelben Augen, aber sie wagten sich nicht aus dem Dickicht heraus. Er hatte nur die Streitaxt bei sich, die die Fürsten seiner Sippe seit Anbeginn der Welt trugen.
Das ganze Sommerhalbjahr über folgten die Hilfseinheiten den drei Legionen des Varus, so wie es militärischer Brauch war. Kreuz und quer zogen sie durch die Stammesgebiete der Marser, Chatten, Chauken, Angrivarier und Bataver. Und überall hielt Varus Gerichtstag. Mühsam nur konnten die germanischen Truppführer ihre Männer im Zaum halten, wenn wieder ein Urteil eine Familie von ihrem Hof vertrieb oder ein Vater gezwungen wurde, seinen Sohn in die Sklaverei zu verkaufen, wenn sie zusehen mussten, wie sich einige wenige Gefolgsherrn auf Kosten anderer Fürsten oder sogar auf Kosten ihrer eigenen Gefolgsleute bereicherten. Der Steuerpächter Lucius Marcus Lupus begleitete das Heer des Statthalters, um seine Forderungen mithilfe der militärischen Gewalt der Legionäre durchzusetzen. Nicht umsonst galten die Römer als ein ungemein praktisch denkendes Volk.
Immer wieder legte Varus Verwaltungsbezirke, die er Diözesen nannte, fest und setzte einen germanischen Fürsten, der sich zur Zusammenarbeit bereitfand, als Verantwortlichen ein. Dort aber, wo er länger mit den Legionen und Hilfstruppen lagerte und mehrere Tage römisches Recht sprach – zuweilen gab es an solchen Orten bereits ein kleines Versorgungslager –, beauftragte er einen willigen Fürsten, ein oppidum zu errichten, eine Siedlung, aus der eines Tages eine Stadt entstehen würde. Um diese Aufgabe zu verwirklichen, wurden dem Verbündeten Steuergelder überlassen, und Varus übertrug ihm das Recht, eine gewisse Summe an Abgaben einzuziehen, um sie für den Ausbau der Siedlung zu verwenden. Dadurch spaltete er bewusst die Germanen in Gewinner und Verlierer, je nachdem, wie willig sie sich ihm gegenüber zeigten. Zur Unterstützung des verbündeten Fürsten bestimmte er einen Beamten, den er dort zurückließ. So begann Varus mit dem Ausbau der Provinz.
Inzwischen war der Herbst angebrochen. Von der Visurgis kommend wollte Varus noch durch das Cheruskerland ziehen, um dann in die Stadt der Ubier am Rhenus zurückzukehren. Er glaubte, viel erreicht zu haben, und war bester Laune, besonders zufrieden war er aber mit sich selbst. Sogar der überhebliche Führer der Hilfstruppen, der Ritter Arminius, zeigte sich geradezu friedlich und hilfreich. Ehe und Kinder sind eben doch das beste Mittel, um aus einem aufsässigen Burschen einen braven Mann zu machen, sagte sich der Statthalter und war wie immer stolz auf seine Menschenkenntnis.
Die Herbstsonne stand hoch im Mittag. Am Fuß des Berges bewachte ein Krieger die Pferde. Die Führer der Stammeseinheiten folgten Arminius auf das kleine Plateau, das sich über das Mittelgebirge erhob. Hier oben standen noch die Ruinen einer sehr alten Fluchtburg des Volkes, weshalb man den Gebirgszug auch Wald der Volksburg oder Teutoburger Wald nannte. Auf dem Sporn inmitten von Palisadenresten und geborstenen Holzkästen, die sich malerisch vom blauen Himmel abhoben, angekommen drehte er sich zu seinen Leuten um, die ihn nun im Halbkreis umringten.
Gerwulf trat neben ihn und ergriff als Erster das Wort. Sein Gesicht drückte Freude aus, eine Regung, die man bei dem mürrischen Mann niemals vermutet hätte. »Männer, der Tag, auf den wir so lange gewartet haben, von dem wir immer wieder geträumt haben, der Tag der Schlacht, der Tag der Freiheit ist angebrochen.« Er kniete vor Arminius nieder.
Ein Raunen ging durch die Reihen der vierzehn Stammesfürsten: »Der König, Arminius ist der König der Krieger!«
Nur der Semnone Randulf lächelte verschmitzt, denn er wusste es ja längst. Die Fürsten wollten es Gerwulf gleichtun, doch Arminius hinderte sie mit Worten und Gesten daran.
»Nein, nein, kniet nicht nieder!«,
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