Arminius
sicher die Sinne zu rauben drohte. Wozu braucht Marbod noch Verteidigungsanlagen, wenn Männer mit einem solch mörderischen Atem unter seinem Befehl stehen, fragte er sich.
Nach einer schier endlosen Weile nahm man ihnen die Augenbinden wieder ab. Sie fanden sich im Innenhof einer Burg wieder. Vor ihnen erhob sich eine riesige Holzwand, davor lag ein sehr breiter und sehr tiefer Wehrgraben. Im Rücken bildete eine Palisadenwand den Außenring. Sie mussten vom Pferd steigen. Gerbod ging voraus. Als sie durch ein breites Tor schritten, sah Arminius, dass die innere Befestigung wie bei römischen Militärlagern mit Steinen und Erde verfüllt war. Die Verteidigungsanlage, die sie sahen, stellte tatsächlich keine große Überraschung für sie dar, denn sie entsprach völlig der römischen Bauweise.
Im Innern stand eine trutzige Wohnhalle, ein riesiges, aus Bohlen errichtetes Blockhaus. In der Mitte des Daches befand sich wie bei einem römischen Atrium ein quadratisches Loch, durch das Licht und Luft fallen konnten. Im Unterschied zu einem römischen Haus erhob sich jedoch ein einzelnes Dach mit großem Abstand über dem Loch, um Regen und Schnee abzuhalten. Arminius erklärte seinen Begleitern, dass es hier genügend Wasser gäbe, sodass man es nicht in einem Bassin im Atrium auffangen musste.
Sie betraten das Haus und gelangten gleich in den großen Saal. In der Halle herrschte ein diesiges Halbdunkel, an das sich ihre Augen erst gewöhnen mussten. In der Mitte stand ein mehr oder weniger runder Tisch, an dem etwa zwanzig Männer saßen. Drei Gefolgsleute des Königs standen auf und boten den römischen Gesandten ihre Plätze an, blieben dann aber bedrohlich hinter ihnen stehen.
Arminius blinzelte und versuchte, den Krieger, der ihm gegenübersaß, zu erkennen. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen: Der kräftige Mann mit dem rasierten Gesicht, den leidlich gut frisierten Haaren und den listigen Augen, die er immer wieder zusammenkniff, war Marbod.
»Wer von euch ist Manigos?«, fragte der König der Markomannen.
»Julius Claudius Nero Germanicus!«, gab sich Arminius’ Freund zu erkennen. »Neben mir sitzen Velleius Paterculus und Julius Caesar Arminius.«
»Du wirst verstehen, Römer, dass ich dich nicht Germanenbezwinger nennen kann, lassen wir es also bei Manigos«, ließ Marbod in exzellentem Latein verlauten. Das Kräftemessen hat also begonnen, dachte Arminius. Beraubt er Germanicus seines Namens, nimmt er ihm die Würde als Verhandlungsführer. Arminius senkte den Kopf und konzentrierte sich. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er musste einen Weg finden, Marbod Achtung einzuflößen, wenn sie nur halbwegs erfolgreich verhandeln wollten.
»Ich sollte einen alten Mann schonen, der weder fremde Namen, noch den eigenen Urin halten kann!«, gab Germanicus barsch zurück.
Wütend über die Beleidigung stand Marbod auf und zog sein Schwert. Mochte er auch die Fünfzig überschritten haben, so war sein Körper immer noch der eines Kriegers, sehnig, muskulös und wendig. Fast gleichzeitig sprang auch Arminius auf, zog noch in der Drehung um die eigene Achse in der Luft sein Schwert und stieß es einem Markomannen, der mit dem Langdolch auf Germanicus zugestürmt kam, in die Brust. Blitzschnell setzte er dann seinen Fuß auf den Bauch des Mannes und zog das Schwert aus dem Leib des Sterbenden, der wie eine Gliederpuppe, deren Fäden man gekappt hatte, in sich zusammenfiel.
Noch bevor Marbod etwas sagen konnte, war Arminius auf den Tisch gesprungen. Germanicus und Velleius folgten ihm mit gezückten Schwertern. Sie hatten sich nicht abgesprochen, aber in diesem Moment trat das große Wunder ein, dass sie meinten, die Gedanken des anderen zu hören. Arminius sprang mit einem großen Satz vom Tisch und ging auf Marbod zu. Germanicus und Velleius, die ihm folgten, hielten ihm den Rücken frei, indem sie sich umwandten und die nachdrängenden Markomannen mit ihren Schwertern empfingen.
Als Marbod und Arminius die Klingen kreuzten, wich der König bald unter den Hieben des jungen Kriegers zurück.
»Du bist ein Germane. Ich sehe es dir an«, keuchte Marbod.
Mehr noch als die Kraft der Schläge machte ihm die Schnelligkeit des Angreifers zu schaffen. Viele mochten kräftiger sein als Arminius, nur wenige aber waren schneller als er. Gern hätte er seinen Gegner noch weiter geschwächt und ihn noch ein wenig länger in den kräftezehrenden Zweikampf verstrickt. Doch Arminius spürte, dass Velleius und Germanicus
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