Artefakt
Wahrscheinlichkeit ist sie manipuliert worden.«
»Von wem?«
»Keine Ahnung.«
Milissa warf einen kurzen Blick auf die beiden Instrumente. Rahil bemerkte es, obwohl ihr Gesicht halb im Schatten verborgen war. Die nächste Lampe auf der großen Dachterrasse war fünf oder sechs Meter entfernt und befand sich schräg hinter der Psychomechanikerin. Ihr Licht erreichte Milissas Gesicht nur, wenn sie den Kopf hob und ein wenig zur Seite drehte, und dann schienen ihre Sommersprossen zu tanzen, wie die in Emilys Gesicht vor über hundert Jahren.
»Wenn Sie Gedächtnislücken haben, Rahil … Es könnte auch bedeuten, dass Ihr Image fehlerhaft ist. Es würde zu allem anderen passen.«
Ihre Stimme hatte einen sonderbaren Klang, fand er. Sie schien irgendwo in seinem Innern einen Resonanzkörper zu finden, der sich der Kontrolle durch Rüstung und Femtomaschinen entzog. Er fragte sich, ob sie das hatte, was man auf Greenrose »goldene Stimme« nannte, die Fähigkeit, ihren Worten empathischen Nachdruck zu verleihen. Manipuliert sie mich?, dachte er, und dieser Gedanke führte zu anderen, die, so musste er zugeben, an Paranoia grenzten. Dass man ihm die Rüstung nicht abgenommen hatte, wunderte ihn noch immer, aber vielleicht gab es dafür einen guten Grund. Vielleicht war das Empirion inzwischen zu einem Instrument geworden, mit dem die Psychomechanikerin ihn kontrollierte. Ebenso die Femtomaschinen. Möglicherweise unterlagen sie nicht mehr seinem Willen, sondern suchten im Auftrag Milissas und des Kurators nach versteckten Wahrheiten.
Rahil sah erneut zu den Roten Nebeln hoch und beobachtete, wie sich ein Schatten vor sie schob, gesäumt von zahlreichen blinkenden Lichtern. Femtomaschinen und Sensoren der Rüstung schärften sein Sehvermögen, damit er Einzelheiten des großen Himmelsschiffs der Milwee erkennen konnte, bestehend aus Dutzenden von Plattformen, untereinander durch Treppen und Brücken verbunden. Darüber blähten sich an die Hundert große und kleine Ballons – sie trugen das Himmelsschiff, wie es die Traditionen der Milwee verlangten. Rahil fragte sich, ob er dies alles wirklich sah oder aber in einem Verhörzimmer lag, Körper und Geist mit einem primären Simulator verbunden, der ihm eine falsche Realität vorgaukelte.
»Sitzen wir tatsächlich hier, Milissa?«
Sie lächelte. »Seit drei Stunden. Es wird allmählich spät.«
»Ich habe Ihnen alles erzählt, was Sie wissen wollten«, sagte Rahil. »Sind Sie jetzt bereit, mir zwei Fragen zu beantworten?«
»Wenn ich kann.«
»Wo ist Sammaccan, und wie geht es ihm?«
Milissa lächelte erneut, halb im Schatten. »Sind das beide Fragen?«
»Nein, nur eine.«
»Sammaccan befindet sich zwei Stockwerke unter uns. Wir haben ihn behandelt, und inzwischen hat er sich gut erholt. Der Transit ohne Kompensatoren wird keine dauerhaften Schäden bei ihm hinterlassen.«
Rahil fühlte eine Last von sich genommen, von deren Existenz er bis eben gar nichts geahnt hatte.
»Und die zweite Frage?«, sagte die Psychomechanikerin, als Rahil schwieg.
»Was geschieht auf Heraklon und im Lagoni-System?«
Milissas Blick huschte erneut zu den beiden kleinen Geräten auf dem Tisch, und was auch immer sie dort sah, es schuf eine dünne Falte in ihrer ansonsten völlig glatten Stirn.
»Die Lage spitzt sich zu«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Die Unionskonferenz und das Kuratorium haben beschlossen, das Lagoni-System zu isolieren, soweit das jetzt noch möglich ist. Wenn Sie mich fragen, kommt diese Maßnahme reichlich spät.« Eine gewisse Schärfe erklang jetzt in Milissas Stimme. »Die letzte Meldung, die wir erhalten haben, betrifft eine Flotte aus fast tausend Seglern, in der elf Clan-Gruppen präsent sind, unter ihnen die Breaz und die Ten-Shapino. Sie sind gestern im Lagoni- System eingetroffen, wie wir per Nullzeit erfahren haben.«
Das war ein Privileg der Ägide, wusste Rahil. Die Nullzeit-Kommunikation nutzte einen Teil der überall präsenten Kosmischen Enzyklopädie für den direkten, sofortigen Austausch von Informationen über Hunderte und Tausende von Lichtjahren hinweg. Nicht einmal alle Welten der Bruch-Gemeinschaft waren damit ausgestattet. Viele von ihnen verwendeten für die interstellare Kommunikation semipermanente Verbindung durch Sprungvektoren, die Schwankungen unterlagen, oder Relaisstationen in den von Kickouts geöffneten Transittunneln, die allerdings den Phänomenen von Plus- und Minus-Zeit ausgesetzt waren – manchmal konnten
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