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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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fünf Jahre alt war. Das Interesse seines Sohnes für die Geschichte hatte er durch Besuche an Dutzenden spannenden Orten sowohl in Finnland als auch im Ausland geweckt. Als die Flamme der Wissbegierde entzündet war, hatten sie sich mit all jenen historischen Orten, Ereignissen und Mythen vertraut gemacht, die Eerik in den nächsten Tagen kennen musste.
    Forsman vermochte seine Ängste nicht zu unterdrücken. Würde es ihm ergehen wie König Lear, würde auch er länger leben als das Kind, das für ihn das Wichtigste war? Er hatte außer Eerik niemanden, wegen seines Geheimnisses hatte er in der einen oder anderen Weise schon alles andere verloren. War Jussi Ketonen bereit gewesen, Eerik zu helfen? Er hatte Ketonen zwar seit Jahren nicht gesehen, ihn aber dennoch als Begleiter auf der Lapplandreise vorgeschlagen, weil die Anwesenheit eines SUPO-Mitarbeiters möglicherweise den Eifer der Verfolger dämpfen würde. Immerhin hatte er sich vergewissert, dass Ketonen Rentner und in einer guten Verfassung war.
    Und wenn Eerik das Dokument nicht fände? Oder vielleicht hatte sein Brief Eeriks Interesse nicht geweckt? Hätte er seinen Sohn doch mit einem noch stärkeren Lockmittel motivieren sollen?
»Ich vertraue darauf, dass Du wissen willst, warum Finnland das einzige am Zweiten Weltkrieg beteiligte Land auf dem europäischen Kontinent war, das nie besetzt worden ist.«
Das hatte er dem Brief ursprünglich noch hinzufügen wollen. Es wurmte ihn, dass er gezwungen war, versteckte Hinweise zu verwenden. Doch die Russen überwachten ganz sicher seine Post, seine Freunde und vor allem Eerik. Er konnte dem Jungen nicht direkt sagen, wo das »Schwert des Marschalls« versteckt war.
    Forsman fürchtete auch, sein Notizbuch, das er im Arbeitszimmer vergessen hatte, könnte Eerik zum Verhängnis werden. Auch wenn er sich noch so oft sagte, dass niemand aus seinen Aufzeichnungen schlau werden konnte – das half ihm alles nicht. Seine Stimmung wurde noch düsterer. Wenn Eerik versagte, würde er als Vater das Schicksal von König Lear erleiden. Er würde nie die Gelegenheit erhalten, die Rolle des Vaters zu genießen.
»O habt Geduld mit mir! Bitt euch nun, vergesst und vergebt; ich bin alt und kindisch.«
    In der heißen, stickigen Luft fiel ihm das Denken immer schwerer. Am liebsten hätte er das Fenster geöffnet, aber das wagte er nicht, möglicherweise standen die Russen auf der Straße und beobachteten das Haus. Jetzt galt es, sich zusammenzureißen, dachte er, wütend auf sich selbst. Er jammerte hier herum wie ein verwöhntes Gör, und das jetzt schon, obwohl doch alles erst am Anfang stand; möglicherweise musste er sich noch wochenlang versteckt halten. Bei allem durfte er nicht vergessen, dass sein Schicksal und das seines Sohnes nur Tropfen im Strom der Geschichte waren, das »Schwert des Marschalls« hingegen war eine Kraft, die den Strom lenkte. Er erinnerte sich immer noch deutlich an jenen Julitag im Jahre 1944, als er das Dokument zum erstenMal gelesen und dann seinen Kameraden in Jäniskoski getötet hatte. Diesen Tag würde er nie vergessen.
    Forsman stand auf. Drei Schritte nach links, eine Drehung und vier Schritte nach rechts. Es stank nach Abfall, obwohl er luftdichte Müllbeutel verwendete. Hatte er irgendwo einen schmutzigen Teller stehen oder etwas auf den Fußboden fallen lassen? Er fürchtete, dass sein Gedächtnis ihn gerade jetzt im Stich ließ, wo jeder Fehler verhängnisvoll sein konnte.
    Er öffnete den Deckel einer Dose mit einem kräftigen Ruck, ein Löffel für die Erbsensuppe fand sich, als er im Schubfach danach tastete. Irgendetwas musste er essen, obwohl ihm der Appetit längst vergangen war. Allmählich bestand er nur noch aus Haut und Knochen. Urplötzlich durchströmte eine Welle der Müdigkeit seine Beine, er taumelte und stieß gegen den Abwaschtisch. In dem Moment fühlte er sich genau so alt, wie er auch wirklich war, dreiundachtzig.
    Forsman warf die Büchse ins Abwaschbecken. Warum lamentierte er hier herum und fürchtete, Eerik könnte versagen? Gar nichts konnte schiefgehen, sein Plan besaß keine Schwachstellen. Schließlich hatte er jahrzehntelang Zeit gehabt, zu überlegen, wie er Eerik zum »Schwert des Marschalls« führen konnte, selbst wenn sein Sohn von allen gejagt wurde. Er und Eerik würden Finnland und der ganzen Welt einen großen Dienst erweisen. Forsman straffte sich, kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich in den Sessel, um die kalte und dicke Erbsensuppe zu

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