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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Ältsten war das schwerste Los gegeben, wir Jüngern werden nie so viel erleben.«
Otto Forsman klappte das Buch zu, »König Lear« war ausgelesen. Als er sich die Augen wischte, spürte er die Falten seines eingefallenen, noch schmaler gewordenen Gesichts. Er richtete seinen gebeugten Körper im Sessel auf, legte das Buch auf den Couchtisch neben den Insulin-Pen und fuhr mit den Fingern über die Blindenschrift auf dem Etikett der Rotweinflasche – La Ciboise. Ihm fiel partout nicht mehr ein, wann er die Flasche in sein Versteck gebracht hatte, dieser Rhône-Wein hielt sich nur ein paar Jahre. Er musste ihn kosten, um festzustellen, ob er noch trinkbar war.
    Drei Schritte nach links, eine Drehung und vier nach rechts, dann streckte er die rechte Hand in Schulterhöhe aus und berührte den Korkenzieher, der an einem Wandhaken hing. Forsman kehrte zu seinem Sessel zurück, öffnete die Flasche und hob das Glas an die Lippen. Ihm fehlte jetzt die Geduld, den Wein erst noch zu dekantieren, zumal der Müllgestank aus irgendeinem unerfindlichen Grund immer stärker wurde. Ein leichter und beeriger Geschmack, zu viel von der Grenache-Traube, dachte Forsman, während er den Wein eine Weile auf der Zunge hin und her bewegte.
    »Dem Ältsten war das schwerste Los gegeben.«
Der letzte Satz aus dem »König Lear« ging ihm noch durch den Sinn. Der alte König war nach dem Verlust seines Lieblingskindes vor Gram gestorben. Würde es ihm genauso ergehen? Er hatte geglaubt, alle möglichen und selbst unmögliche Problemeberücksichtigt zu haben, schließlich hatte er über sechzig Jahre Zeit gehabt, an seinem Plan zu feilen. Doch eins hatte er nicht erwartet – dass seine Nerven ihm einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Würde er verrückt werden wie König Lear?
    Die Ungewissheit fraß von innen an ihm wie ein Bandwurm. In welchem Abschnitt der Hinweiskette befand sich Eerik jetzt? Ob er schon in Rapola gewesen war? Würde Eerik so weit kommen, dass es ihm gelang, seine Verfolger abzuschütteln? Vielleicht hatte man seinen Sohn schon gefunden und getötet. Die Verzweiflung überwältigte ihn. War es ein Fehler gewesen, Hinweise zu hinterlassen, denen nur Eerik folgen könnte? Vielleicht hatte er das »Schwert des Marschalls« so gut versteckt, dass es nie jemand finden würde, nicht einmal Eerik.
    Über die Vorstellung, er könne Beklemmungen bekommen, wenn er mehrere Tage in absoluter Stille verbringen müsste, hätte Forsman noch vor einer Woche herzlich gelacht. Jetzt schien es ihm so, als würde die Dunkelheit, die ihn umgab, allmählich in ihn hineinkriechen und sein Innerstes erfüllen. Wenn Eerik nicht erfolgreich war, würde er seinen Sohn verlieren und in dem Wissen dahinsiechen und sterben, dass er sein Leben ruiniert hatte, weil er ein Geheimnis schützen wollte, das mit ihm sterben würde. Dann hätte es ihm wirklich alles genommen.
    Forsman wurde wütend auf sich selbst. Er machte allmählich schlapp, obwohl das erst der elfte Tag in seinem Versteck war. Schlimmstenfalls könnte Eerik Monate brauchen, um das »Schwert des Marschalls« zu finden, das jetzt war also möglicherweise erst der Anfang. Er musste durchhalten, die Zukunft zahlloser Menschen hing von ihm ab. Auch die anderen vor ihm hatten durchgehalten. Und was war das schon für eine Belastung im Vergleich zu der in den Kriegsjahren und den Zeiten des Mangels und derSchufterei danach. Denk an etwas anderes, konzentriere dich.
    Forsman griff auf sein Mantra zurück, die Schwerteid-Rede , die der Marschall 1918 in Antrea gehalten hatte:
»… ich schwöre, … dass ich mein Schwert erst in die Scheide stecken werde, wenn auch der letzte Krieger Lenins … aus Finnland vertrieben worden ist …«
    Der Marschall hatte sein Versprechen gehalten, dachte Forsman und kramte aus den Winkeln seines Gedächtnisses den Tagesbefehl Nummer 3 des Oberbefehlshabers hervor, erlassen im Hauptquartier am Beginn des Fortsetzungskrieges, am 11. Juli 1941. Das war der sogenannte Schwertscheiden-Tagesbefehl. Auch den kannte er auswendig:
    »Im Freiheitskrieg 1918 hatte ich verkündet, dass ich mein Schwert erst in die Scheide stecken werde, wenn Finnland und Ostkarelien frei sind. Dreiundzwanzig Jahre lang haben Weißmeerkarelien und die Karelische Landenge darauf gewartet, dass dieses Versprechen erfüllt wird. Anderthalb Jahre lang hat das finnische Karelien nach dem ehrenhaften Winterkrieg verlassen und leer auf die Morgendämmerung gewartet.«
Heutzutage galt

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