Arto Ratamo 7: Der Finne
Helsinki empört waren, dass man ihm – einem Mann des FSB – vorübergehend das Kommando über die Filiale übertragen hatte. Das Telefon klingelte, und er nahm den Hörer ab.
Olga Gusarowa kam sofort zur Sache: »Es wird immer schwieriger, die Unterlagen der verschiedenen Sicherheitsdienste zu sichten, je weiter wir in die Geschichte vordringen. In den Archiven des NKWD, des OGPU oder GPU von 1941 bis 1922 findet sich kein einziger Hinweis auf das ›Schwert des Marschalls‹.«
»Sind es schlechte Nachrichten denn wert, solch einen Enthusiasmus zu zeigen, liebe Olga«, sagte Jarkow und beglückwünschte sich zu seiner geistvollen Bemerkung. Die Frauen mochten schlagfertige Männer.
»Herr Major, das ist nicht zum Scherzen«, erwiderte Olga Gusarowa aufgebracht. »Wir sind dem ›Schwert des Marschalls‹ erst auf die Spur gekommen, als wir die Unterlagen der ersten Sicherheitspolizei Sowjetrusslands, der Tscheka, aus dem Jahre 1918 durchgearbeitet haben.«
»Ich wusste, dass du gute Nachrichten hast. Ich vertraue dir und deinen Männern vollkommen«, erwiderte Jarkow, um sie zu besänftigen. Er durfte die Frau nicht verärgern, Olga leistete mit ihrer Gruppe eine Arbeit, die nicht einmal mit Gold aufzuwiegen war.
Olga Gusarowa fuhr fort, und ihr war anzuhören, dass sie sich geschmeichelt fühlte. »Endlich hatten wir mal Schwein. Einem meiner Männer fiel der interessante Titel eines Dokuments auf – ›Opferbuch‹. Dann erinnerte er sich, dass Leo Trotzki für das ›Schwert des Marschalls‹ denselben Namen benutzt hatte. Wir begannen, weitere Hinweise auf das ›Opferbuch‹ zu suchen, und da hatten wir Glück. Es fanden sich viele. Es sieht so aus, als wären das ›Opferbuch‹ und das ›Schwert des Marschalls‹ ein und dasselbe Dokument. Die Namensänderung vom ›Opferbuch‹ zum ›Schwert des Marschalls‹ geschah in der Zeit, als die Finnen es 1940 zum ersten Mal einsetzten.«
»Zur Sache, liebe Olga, zur Sache«, bat Jarkow.
»Lenin erhielt das ›Opferbuch‹ im Juli 1918 von Zar Nikolai II. in Jekatarinenburg. Der Zar versuchte mit dem Dokument seine Freiheit und die seiner Familie zu erkaufen, aber nachdem der von Verfolgungswahn getriebene Lenin das ›Opferbuch‹ gelesen hatte, ließ er die ganze Zarenfamilie ermorden und behielt das Dokument selbst. Der Chef der Tscheka Felix Dzierzynski schrieb in seinen Notizen über den Mord an der Zarenfamilie, dass …«, in der Leitung hörte man für einen Augenblick nur Papier rascheln und das Schnaufen Olga Gusarowas, die ganz außer Atem war, »… Terror während der Revolution unbedingt wichtig ist,das ist immer so gewesen. Und die Tscheka verteidigt das Land und vernichtet seine Feinde, wenn ihr Schwert auch manchmal unschuldige Köpfe trifft.«
»Olga, Schätzchen«, sagte Jarkow in seinem väterlichsten Tonfall, »alles, was du gesagt hast, ist extrem interessant. Es sieht ganz so aus, als wäre das ›Schwert des Marschalls‹ wirklich ein Dokument, durch dessen Veröffentlichung Russland ein äußerst großer Schaden entstehen kann. Aber du musst solche Informationen ausgraben, mit deren Hilfe wir das ›Schwert des Marschalls‹ finden. Das wäre für uns beide von außerordentlichem Nutzen, in vieler Hinsicht.«
»Gerade deshalb sichten wir ja diese Archive, wir bemühen uns, in der Geschichte der Nachrichtendienste …«
»Sucht das ›Schwert des Marschalls‹«, befahl Jarkow mit sanfter Stimme und legte auf. Manchmal musste er Olga streng behandeln, obwohl sie eine ausgezeichnete Arbeit leistete. Beim FSB spornte nichts so wirkungsvoll zu harter Arbeit an wie ein unzufriedener Vorgesetzter, und er wollte ohnehin, dass Olga eine angemessene Ergebenheit zeigte, wenn es um seine Befehle und Wünsche ging.
Jarkow nahm aus einer Holzkiste am Rande des Schreibtischs eine Zigarre, ließ ein mit Hammer und Sichel verziertes Feuerzeug schnipsen und zog genussvoll den Rauch ein. Valentina hatte ihm das Rauchen verboten, nachdem sie im letzten Sommer beschlossen hatte, dass sie ein Eigenheim kaufen würden. Jede Kopeke musste gespart werden. Sein Gehalt bekam er derzeit nur noch auf dem Lohnstreifen zu sehen.
Die vage Bedrohung durch das ›Schwert des Marschalls‹ verwandelte sich in eine reale Gefahr. Jarkow hielt es jetzt für wahrscheinlich, dass Forsmans Behauptungen von der Gefährlichkeit der Informationen im »Schwert des Marschalls« nicht erfunden waren, zumindest nicht ganz. Die Gerüchte über verheimlichte
Weitere Kostenlose Bücher