Arto Ratamo 7: Der Finne
überlegte einen Augenblick. »Haben Sie wirklich keine Ahnung, wie lange Sie diesen Hinweisen noch hinterherrennen müssen? Wann das ›Schwert des Marschalls‹ gefunden wird?«
»Ich weiß es nicht, und Sutela weiß es auch nicht. Jetzt möchte ich mit Paula reden, ist sie …«
»Wenn der nächste Hinweis gefunden wird, rufen Sie mich sofort an. Auf der Stelle. Ansonsten sehen Sie Ihre Tochter nicht wieder. Und denken Sie daran, dass Sie ständig überwacht werden, ein Handy ist sehr praktisch, wenn man jemandem folgen will. Sollten wir kein Signal mehr empfangen, stirbt Ihre Tochter.« Damit war das Gespräch zu Ende, und Jarkow stellte fest, dass ihm die finnische Frau leidtat. Doch seine Gefühle musste er unterdrücken.
Jarkow hatte sich so auf das Telefongespräch konzentriert, dass ihm erst jetzt auffiel, wie neugierig Gataulin zuhörte. Der Mann wusste doch nicht etwa, mit wem er gesprochen hatte? Er traute den Leuten vom SVR nicht, am allerwenigsten Gataulin. »Du kannst gehen, ich überprüfe allein, was sich in dieser Wohnung befindet.«
Jarkow wartete, bis Gataulin verschwunden war, und untersuchte dann sorgfältig alles, die Toilettenutensilien im Bad, den Inhalt des Medizinschranks, die Gläser mit dem Eingemachten im Speiseschrank … Zum Schluss öffnete er alle Müllbeutel, schüttete den Inhalt auf den Fußboden und schaute sich jede Apfelsinenschale und jede leere Bohnendose an. Der Gestank war widerlich, sein Herz hämmerte, und der Schweiß floss in Strömen, aber er fand nichts.
Er war schon an der Tür, als ihn irgendetwas zur Kochnische zurückkehren ließ. Jetzt wurde es ihm klar, nicht eineinzelner Gegenstand oder ein Detail war ihm aufgefallen, sondern das Gesamtbild: Alles schien auf den Millimeter genau seinen Platz zu haben, wie auf der Zeichnung eines Architekten, und nirgendwo sah man Zeitungen, Bücher, nicht einmal Werbematerial. Forsman war blind, er musste exakt wissen, wo sich jeder einzelne Gegenstand befand. Er hatte sich also hier versteckt. Aber wie zum Teufel hatte es der alte Mann geschafft, zu verschwinden, bevor man ihn fand? Gab es in den Reihen des FSB eine undichte Stelle? Hatte jemand Forsman geholfen? Aber wer? Wem traute der alte Mann so sehr, dass er es gewagt hatte, sein Versteck zu verlassen?
Wenig später ging Jarkow die Snellmaninkatu entlang, er öffnete den obersten Kragenknopf und bog in Richtung Senaatintori ab. Sein verschwitztes Hemd klebte am Rücken. Fragen schwirrten ihm so heftig durch den Kopf, dass es in den Schläfen schmerzte. Begleitete der Ermittler der SUPO Sutela zufällig, oder wussten die finnischen Behörden vom »Schwert des Marschalls«? Was würden General Korolkow und die »höchste Ebene« tun, wenn er das Dokument nicht fände? Er fürchtete, viel mehr zu verlieren als nur die nächste Beförderung, wenn er versagte. Was würde er lieber wählen, die Entlassung oder eine Versetzung in das FSB-Büro in Workuta? Wieder einmal bereute er es, nicht auf die Ratschläge seiner Brüder gehört zu haben. Lass die Finger von einem Amt im Staatsdienst, hatten sie ihm empfohlen.
Auf der Aleksanterinkatu ratterte eine Straßenbahn in schnellem Tempo dicht an Jarkow vorbei, der einer Frau im Minirock hinterherstarrte. Die finnischen Frauen waren zwar attraktiv, überlegte er, aber die Russinnen verstanden es besser, sich zu schminken und zu frisieren. Plötzlich schrillte sein Handy. Auf dem Display erschien der Name Olga Gusarowas, und Jarkow versuchte sich schnell etwasOriginelles einfallen zu lassen. Doch schließlich räusperte er sich nur und sagte seinen Namen.
»Wir haben alle Archive der Tscheka bis zur Revolution durchforstet und sichten nun schon die Unterlagen der Geheimpolizei des Zaren. Ich habe interessante Neuigkeiten. Eine Tagebuchnotiz von General Globatschow, dem Leiter der Petrograder Abteilung der Ochrana, aus dem Jahre 1917 deutet an, dass dieses ›Schwert des Marschalls‹, damals noch unter dem Namen ›Opferbuch‹, eine von der Ochrana angefertigte Fälschung war«, sagte Olga Gusarowa stolz.
»Was willst du damit sagen, Schätzchen? Stalin hätte doch wohl nicht wegen irgendeiner Fälschung mit den Finnen über Krieg und Frieden verhandelt?«, fragte Jarkow erstaunt und blieb in der Sofiankatu unter der Markise eines Restaurants stehen.
»Laut Globatschow ist das ›Opferbuch‹ genauso eine Fälschung wie die ›Protokolle der Weisen von Zion‹, das als eines der wichtigsten Dokumente angesehen wird, die
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