Arto Ratamo 7: Der Finne
hatten sich nicht nur in der Fakultät, sondern auch in der Freizeit getroffen,meistens bei einem von beiden zu Hause zum Abendbrot. Ketonen überlegte, warum sich seine erste Frau Hilkka mit Eerika Sutela angefreundet hatte, während er und Otto nur gute Bekannte geblieben waren. Vielleicht lag es an dem Altersunterschied von etwa zwanzig Jahren. Als man jünger war, spielten auch solche Dinge eine Rolle. Außerdem war Otto immer ziemlich zugeknöpft und ernst gewesen.
In Gedanken kehrte Ketonen ins Jahr 1973 zurück. An die ersten Jahre seiner SUPO-Laufbahn erinnerte er sich besser als an die Jahrzehnte danach. Einmal mehr überlegte er, ob an den Gerüchten etwas dran war, die damals über Otto kursierten. Hatte Präsident Kekkonen dessen Hilfe bei einigen Angelegenheiten, die mit Russland zusammenhingen, in Anspruch genommen oder …
»Fahr langsamer, Jussi! Hier ist Tempo zwanzig«, schimpfte Nelli, als sie an der Brücke von Strömma ankamen, die Kemiönsaari mit dem Festland verband. Ketonen konnte noch bremsen, aber sie wurden doch heftig durchgeschüttelt, als die Reifen auf die Bremsschwelle prallten.
Der Micra schlich im Schneckentempo über die Brücke, und Ketonen betrachtete die Masten der Segelboote auf dem Meer, in dem die Abendsonne glitzerte. »Hast du heute ein Date mit diesem Jere?«, fragte Ketonen aus lauter Bosheit.
Nelli wurde rot und murmelte: »Alleine lässt mich Marketta nirgendwohin.«
Zu seinem Erstaunen bemerkte Ketonen, dass er gespannt darauf wartete, wie das Gespräch mit Eerika Sutela verlaufen würde. Er war nicht mehr Chef der SUPO, sondern nur ein ergrauter Rentner im Hawaiihemd, der eine ehemalige Bekannte zu Dingen ausfragen wollte, die Jahrzehnte zurücklagen. Doch er vermisste seine Arbeit und die Autorität als Chef der SUPO mehr, als er sich einzugestehen wagte.
»Pass auf!«, rief Nelli, und Ketonen trat auf die Bremse. Beide schauten amüsiert einem Fasan mit seinem langen Schwanz zu, der krächzte und dann losrannte.
»Was für ein Zeichen ist das?«, fragte Nelli verwundert und zeigte auf das Verkehrszeichen mit dem Bild eines schwarzen Fasans, das an der Straße stand.
»Ein Warnzeichen. In Kerava gibt es eins mit dem Bild eines Igels. Oder zumindest hat es das früher mal gegeben«, erinnerte sich Ketonen.
In Taalintehdas eingetroffen, überlegte Ketonen, warum so viele Gemeinden in den Schären voller Lebenskraft waren, obwohl der ländliche Raum in Finnland während der letzten Jahrzehnte in einem nie dagewesenen Tempo verödete. Natürlich ließen die Bootsbesitzer im Sommer jede Menge Geld in den Küstenorten, aber das taten die Ferienhausbesitzer in vielen Gemeinden im Landesinneren auch.
Nachdem Ketonen zwei Ehrenrunden um das Zentrum von Taalintehdas gefahren war, blieb ihm nichts anderes übrig, als am Markt anzuhalten und auf der Karte nachzuschauen, wie man auf die Insel Byholmen kam. Als sie dann an den Industriehallen des Walzwerkes von Ovako und an einer verfallenen Kläranlage vorbeifuhren, bot sich kein schöner Anblick, doch auf der Holzbrücke, die auf die Insel Byholmen führte, wurde die Landschaft wieder idyllisch. Das weiße einstöckige Holzhaus von Eerika Sutela stand am Nordwestufer der Insel.
Auf dem benachbarten Grundstück schob ein Mann den Rasenmäher vor sich hin und grüßte die Besucher, als sie ausstiegen. Dann erschien Eerika Sutela im Garten vor dem Haus mit einem Sommerkürbis so lang wie ein Baseballschläger, ihre Hände waren schwarz von der Gartenerde. Ketonen begrüßte seine alte Bekannte und stellte Nelli vor.
»Ich habe in einem Dorf einen Sack Mist gekauft, der von einem norwegischen Fjordpferd stammt, und das istdas Ergebnis.« Eerika hob den riesigen Sommerkürbis mit ausgestreckten Armen hoch und strahlte übers ganze Gesicht.
»Kommt doch rein, ihr kriegt etwas zu essen. Die Pfifferlingssaison ist in vollem Gange, und auch im Garten wächst noch alles Mögliche. Man hat das Gefühl, dass die Sommer Jahr für Jahr länger werden.«
Ketonen fiel sein Mitbringsel ein, dann wurde ihm klar, was Eerika eben gesagt hatte, und er beschloss, die Pfifferlinge aus Perniö im Auto zu lassen. Marketta würde eher Verwendung für sie haben.
»Bei mir wird gerade renoviert. Die Zeit rast dahin, es ist schon über dreißig Jahre her, dass ich hierhergezogen bin. Die Renovierung dagegen geht nur langsam voran, das ärgert einen. Aber was soll’s, Rentner haben ja keine Eile«, erzählte Eerika Sutela, und Ketonen
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