Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Worte fehlten. Der Mann muß gedacht haben, mein Schweigen sei der Vorbote für seinen Tod, denn plötzlich zeigte er sich verzweifelt. »Alle sind tot!« rief er aus.
»Wer?«
»Mordred, Arthur, alle!«
Ein paar Herzschläge lang war mir, als werde meine Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Der Mann versuchte sich gegen mich zu wehren, aber ein Druck meines Messers ließ ihn wieder ruhig werden. »Wie?« fragte ich leise.
»Ich weiß es nicht.«
»Wie?« fragte ich ein wenig lauter.
»Wir wissen es nicht!« beharrte er. »Mordred wurde getötet, bevor wir kamen, und Arthur, heißt es, starb in Powys.«
Ich hockte mich auf die Fersen und winkte einem meiner Männer, die beiden Gefangenen mit seiner Speerspitze ruhig zu halten. Dann zählte ich die Tage, seit ich Arthur zuletzt gesehen hatte. Vor ein paar Tagen erst hatten wir uns bei Cadocs Kreuz getrennt, und Arthurs Heimweg war wesentlich länger als der meine; wenn er gestorben war, dachte ich, konnte die Nachricht von seinem Tod unmöglich vor mir in Ynys Wydryn eingetroffen sein. »Ist Euer König hier?« fragte ich den Mann.
»Ja.«
»Warum?« fragte ich ihn.
Seine Antwort war kaum mehr als ein Flüstern. »Um das Königreich zu übernehmen, Lord.«
Wir schnitten Wollstreifen von den Mänteln der beiden Männer, fesselten ihnen Arme und Beine und steckten ihnen Händevoll Wolle in den Mund, damit sie Ruhe gaben. Wir stießen sie in einen Graben und befahlen ihnen, still liegenzubleiben. Dann führte ich meine fünf Männer zum Eingang des Heiligtums zurück. Ich wollte einen kurzen Blick hineinwerfen, sehen, was ich in Erfahrung bringen konnte, und erst dann nach Hause zurückkehren. »Mäntel über die Helme!«
befahl ich meinen Männern. »Schilde umdrehen!«
Wir schlugen die Mäntel so über unsere Helme, daß die Wolfsruten verborgen waren, dann kehrten wir die Schilde mit der Vorderseite gegen unsere Beine, damit der Stern darauf verdeckt war. So getarnt betraten wir leise das Gelände des nunmehr unbewachten Heiligtums. Wir hielten uns in den Schatten, stahlen uns hinter dem Rücken der Menge weiter, bis wir das Steinfundament des Grabmals erreichten, das Mordred für seine verstorbene Mutter zu bauen begonnen hatte. Wir kletterten auf die höchste Steinreihe der unfertigen Gruft hinauf, denn von dort aus konnten wir über die Köpfe der Menge hinweg beobachten, was sich zwischen den in zwei Reihen brennenden Feuern, die Ynys Wydryns Nacht erhellten, für seltsame Dinge zutrugen.
Anfangs dachte ich, es sei wieder einer jener christlichen Riten, die ich einst in Isca beobachtet hatte; denn zwischen den Feuerreihen drängten sich tanzende Frauen, sich wiegende Männer und skandierende Priester. Ihr Kreischen, Schreien und Klagen ergab einen ohrenbetäubenden Lärm. Mönche mit Ledergeißeln wanderten zwischen den Rasenden umher und schlugen sie auf den nackten Rücken, und jeder einzelne grausame Schlag löste weitere Entzückensschreie aus. Eine Frau kniete neben dem heiligen Dornbusch. »Komm, Herr Jesus!« kreischte sie. »Komm!« Ein Mönch schlug sie, bis sie raste, schlug sie so hart, daß ihr nackter Rücken nur noch eine gräßliche Fläche aus blutigem Fleisch war, doch jeder neue Schlag steigerte die Inbrunst ihrer verzweifelten Gebete nur noch.
Gerade wollte ich von der Gruft herunterspringen und zum Tor zurückkehren, als aus den Gebäuden auf dem Gelände Speerkämpfer auftauchten und die Betenden rücksichtslos beiseite stießen, um eine Gasse zwischen den Feuern zu bahnen, die den heiligen Dornbusch beleuchteten. Sie schleppten die schreiende Frau davon. Weitere Speerkämpfer folgten, von denen zwei eine Sänfte trugen, und hinter der Sänfte führte Bischof Sansum eine Gruppe grellbunt gekleideter Priester an. Lancelot und seine Männer begleiteten die Priester. Bors, Lancelots Champion, war dabei, Amhar und Loholt folgten dem König der Belgen, doch von den schrecklichen Zwillingen Lavaine und Dinas entdeckte ich keine Spur.
Als die Menge Lancelot sah, begann sie noch viel lauter zu kreischen. Die Menschen streckten die Hände nach ihm aus, und einige knieten sogar nieder, als er an ihnen vorüberkam. Er war mit seiner weißemaillierten Schuppenrüstung herausgeputzt, die, wie er hoch und heilig schwor, einstmals dem antiken Helden Agamemnon gehört hatte, und trug den schwarzen Helm mit den ausgebreiteten Schwanenschwingen als Zier. Das lange, schwarze Haar, das er stets ölte, bis es glänzte, fiel ihm über den in
Weitere Kostenlose Bücher