Ascalon – Das magische Pferd, Band 2: Ascalon – Das magische Pferd. Das Geheimnis der Maya (German Edition)
nichts mehr hören.«
Niemand erhob ein Widerwort. Die Mädchen gingen zu ihren Schlafplätzen zurück und legten sich hin. Selbst als die Schritte der Ehrwürdigen nicht mehr zu hören waren, herrschte Schweigen.
Muriel hätte erleichtert sein müssen, dass die Oberste Priesterin dem Geschwätz der Mädchen keinen Glauben geschenkt hatte, aber sie war es nicht. Sie ärgerte sich. Viel schneller als erwartet war es Zamná gelungen, das Misstrauen der anderen gegen sie zu schüren. Von nun an würde sie mit dem Verdacht leben müssen, ein Spitzel aus Naranjo zu sein. Ihre Zuversicht, die schwere Aufgabe meistern zu können, hatte schon in der ersten Nacht einen kräftigen Dämpfer bekommen und Muriel dachte voller Unbehagen an das, was daraus erwachsen mochte.
Der nächste Morgen lenkte die Aufmerksamkeit der Mädchen zunächst jedoch auf etwas anderes. Wie ein Lauffeuer sprach sich schon bei der Morgenmahlzeit herum, dass sich der Zustand des Priesterfürsten weiter verschlechtert hatte. Das Fieber wütete noch heftiger in seinem Körper und würde ihn so schwächen, dass er sich kaum mehr bewegen könne. Es hieß, er habe mit brüchiger Stimme nach seinem Schreiber verlangt, um sein erst kürzlich erlangtes Wissen auch über den drohenden Tod hinaus für sein Volk zu bewahren.
Die Mädchen waren bestürzt zu hören, wie schlecht es Ah Coyopa ging. Die Gebete am Morgen, bei dem den Göttern auf einem Altar Feldfrüchte als Opfergaben dargebracht und Räucherharz in Tonpfannen verbrannt wurde, konnten viele nur unter Tränen sprechen.
Muriel saß neben Chila am Boden in der hintersten Reihe und hoffte inständig, dass niemandem auffiel, wie unsicher sie war. Unbeholfen ahmte sie jede Bewegung ihrer neuen Freundin nach, verbeugte sich, wenn Chila es tat und bewegte die Lippen, als würde sie die Gebete leise mitsprechen. Dabei war ihr schmerzlich bewusst, dass jede ihrer Bewegungen zu spät kam und die gemurmelten Worte nicht dem gesprochenen Text entsprachen. Immer wieder blickte sie verstohlen zu Zamná, die in der ersten Reihe vor dem Altar am Boden kniete, aber die junge Priesterin schien völlig in dem Gebetsritual aufzugehen und wandte sich nicht ein Mal zu ihr um.
Nach den Gebeten wurden die Schülerinnen in Gruppen aufgeteilt. Das Siechtum des Priesterfürsten aufzuhalten, erforderte immer größere Mengen an Opfergaben. So wurden die angehenden Priesterinnen von ihren täglichen Pflichten entbunden, um diese von den Grundherren und Bauern einzufordern und in den Tempel zu schaffen.
Diese Aufgabe war für alle neu und machte es Muriel leicht, nicht aufzufallen. Gemeinsam mit Chila und Ahau, deren Strafe angesichts der Dringlichkeit aufgeschoben wurde, erhielt sie den Auftrag, Mais, Bohnen und Paprika aus den südlichen Regionen Tikals zu holen.
Auf ihrem Weg dorthin wurden die beiden Mädchen nicht müde, die Schönheit ihrer Stadt zu preisen. Zu allen Bauten und Palästen, an denen sie vorbeikamen, wussten sie Muriel etwas zu erzählen. Als sie den Ballspielplatz passierten, sah Muriel eine Gruppe von acht Jungen, die dort Pok ta Pok spielten. Aber sie waren zu weit weg und sie konnte nicht erkennen, ob Ah Hunahpu dabei war.
Als sie die vergleichsweise ärmlichen Behausungen der Bauern am Fuße des Hügels erreichten, erlebte Muriel eine Überraschung. Sie hatte fest damit gerechnet, dass die Bauern sich weigern würden, noch größere Mengen der kostbaren Nahrungsmittel für die Altäre der Priester abzugeben, aber das Gegenteil war der Fall. Überall wurden sie freundlich empfangen und reichlich mit Gaben bedacht, sodass sie sich schon gegen Mittag auf den Rückweg zum Haus der Priesterinnen machen konnten.
Chilas Geheimnis
Das Siechtum des Priesterfürsten überschattete das Leben in Tikal so sehr, dass es Muriel in den darauffolgenden zehn Tagen leichtfiel, sich unauffällig in der Stadt umzusehen.
In der knapp bemessenen Zeit, die den angehenden Priesterinnen zwischen ihren zahlreichen Pflichten zur freien Verfügung stand, gelang es ihr tatsächlich, ein paar Informationen zu sammeln und erste Pläne zu schmieden, von denen sie die meisten jedoch bald wieder verwarf, weil sie sich als undurchführbar erwiesen.
Die größte Schwierigkeit lag darin, den Tempel, in dem der Priesterfürst lebte, zu betreten. Dies war, wie Muriel erfuhr, nur wenigen gestattet und selbst von denen gelangten nur die allerwenigsten in die Nähe der Räume, in denen sich die Priesterärzte um den kranken Fürsten
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