Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
aufgepeppt hatte, beispielsweise Gin. Sie beschloss erneut, einen günstigen Moment abzuwarten, um ihr Glas in den Blumenkübel zu entsorgen, koste es, was es wolle. Muriels gewöhnlich kratzbürstige Art war zusammengeschmolzen, und sie saß entspannt in ihrem Sessel unter den sturmgepeitschten Fischerbooten. Selbst Hamlet hatte sich in der Tür auf alle viere niedergelassen, den Kopf auf den Pfoten und die Augen geschlossen. Von Zeit zu Zeit kamen leise rumpelnde Geräusche aus seiner Richtung. Muriels Augenlider hingen ebenfalls schwer herab.
»Miss Pickering!«, wiederholte Jess lauter.
Muriels Lider flatterten auf. »W-was?«, fragte sie, während ihre Hand nach der Flasche tastete. »Möchten Sie noch einen?«
»Nein, danke vielmals. Ich bin hergekommen, weil ich Ihnen ein paar Fragen wegen Key House stellen möchte.«
»Was soll damit sein?«, fragte Muriel. »Es ist abgebrannt, und davor hat es jahrelang leer gestanden, was gibt es also zu fragen?«
»Mich interessiert die Zeit davor, als noch Leute darin lebten, vor vielen Jahren. Sebastian Crown, seine Frau, sein Kind … Erinnern Sie sich an diese Zeiten?«
»Selbstverständlich erinnere ich mich!«, entgegnete Muriel in einem Anflug ihrer alten Aufsässigkeit. »Mein Gehirn funktioniert ganz wunderbar! Ich vergesse nichts. Ich hatte schon immer …« Sie hob die Flasche vor das Gesicht und beäugte sie kritisch. »Ich hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Die hier ist leer. Ich gehe in die Küche und hole uns eine neue.«
Sie machte Anstalten, sich aus ihrem Sessel zu erheben.
»Wenn wir vielleicht zuerst über Sebastian Crown reden könnten«, beharrte Jess.
»Oh, Sebastian. Er ist seit vielen Jahren tot«, sagte Muriel und sank zurück in die Tiefen ihres Sessels. »Ich konnte den Kerl nie ausstehen. Die Crown-Männer sind ein übler Haufen, durch und durch verdorbene Schufte. Wie der Vater, so der Sohn, wie es so schön heißt. Erst gestern habe ich den jungen Gervase Crown gesehen. Er lungerte beim Haus herum, hat den Tatort des Verbrechens besucht. Ha!«, fügte sie mit einem bösen Kräuseln der Lippe hinzu.
»Inwiefern war Sebastian Crown ein Schuft?« Jess ließ sich nicht ablenken, obwohl sie spürte, dass Muriel nichts anderes im Sinn hatte.
»Er ist tot, und deswegen kann ich endlich über ihn sagen, was ich will«, antwortete Muriel mit tiefster Befriedigung. »Ich kann die Wahrheit sagen. Er war ein Millionär, wissen Sie, und die Leute sind sehr vorsichtig mit dem, was sie über einen sagen, wenn man reich ist – insbesondere bei einem Mistkerl wie Sebastian. All das viele Geld hat jetzt sein Sohn.« Sie schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Es gibt einfach keine Gerechtigkeit im Leben, oder? Sebastian war nicht nett, oh nein, bestimmt nicht. Erfolgreich, ja, absolut. Er hat sich mit den richtigen Leuten gutgestellt. Ein anständiger Mann war er deswegen trotzdem nicht. Ich mochte seine Frau«, schloss Muriel unerwartet.
»Niemand redet über seine Frau«, hakte Jess nach.
»Das liegt daran, dass sie irgendwann genug Mut beisammenhatte, um ihn zu verlassen. Es war das Tagesgespräch in der Gegend, ein einziger riesiger Skandal. Die Leute haben sich nicht getraut, auf offener Straße darüber zu reden, stellen Sie sich das vor! Sebastian lief herum wie Heinrich der Achte an einem schlechten Tag«, fuhr Muriel fort. »Amanda tat mir sehr leid. Sie war unglaublich einsam, das arme Ding. Sie ging oft ganz allein in der Gegend spazieren. ›Ich verschaffe mir ein wenig Bewegung‹, sagte sie immer. Wenn Sie mich fragen, hat sie zugesehen, dass sie aus dem Haus kam und ihm aus dem Weg. Ich hatte schon immer einen Hund und war mit ihm jeden Tag draußen. Man könnte sagen, es gab mir Gelegenheit, aus Mullions rauszukommen und weg von Vater. Er wollte immer irgendwas erledigt haben, entweder eine Tasse Tee gemacht oder irgendetwas von oben geholt oder nach einem Buch gesucht, das er verlegt zu haben meinte und in Wirklichkeit eher nie besaß! Amanda und ich hatten etwas gemeinsam, wenngleich aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Ich bin ihr regelmäßig begegnet, irgendwo unterwegs auf meiner Route, und nach einer Weile fingen wir an, uns zu unterhalten, und schließlich gingen wir zusammen spazieren. Wir verabredeten uns zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle, wo wir uns trafen. Manchmal hatte sie keine Zeit, da fuhr sie für zwei oder drei Tage nach London, einkaufen oder ins Theater gehen oder was weiß ich.
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