Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
hing in der Luft. Er erinnerte an Kleie und kam von irgendwo aus dem hinteren Teil des Hauses. Jess umrundete eine Ecke.
Der Hahn und sein Harem hatten sich vor der Hintertür eingefunden. Sie schienen erwartungsvoll. Im ersten Moment erschrak Jess, als sie durch das Küchenfenster blickte. Rauch erfüllte den Raum und machte es unmöglich, im Innern etwas zu erkennen. Doch dann fing Hamlet an zu bellen und zeigte an, dass er einen Eindringling entdeckt hatte, der sich dem Haus näherte. Die Hintertür flog auf, und eine große Qualmwolke entwich. Der Gestank nach Kleie wurde überwältigend, und das Hühnervolk flüchtete unter protestierendem Gackern in das Gestrüpp im hinteren Teil des Gartens, als Hamlet aus dem Haus geschossen kam und einen wilden Kriegstanz um Jess herum aufführte. Als Nächstes erschien eine apokalyptische Gestalt aus dem Dunst, eine Waffe drohend erhoben. Wie sich herausstellte, war die Waffe ein Kochlöffel und die apokalyptische Gestalt Muriel Pickering.
»Der tut nichts!«, brüllte sie Jess anstelle einer Begrüßung über das Gekläff hinweg zu, bevor sie sich an ihren Hund wandte. »Halt die Klappe, Hamlet!«
Hamlet beendete widerwillig seine Scheinangriffe auf Jess’ Waden und stand leise knurrend und mit böse funkelnden Augen da.
»Er ist wirklich ein guter Wachhund«, bemerkte Jess.
»Das können Sie laut sagen. Hamlet entgeht nichts. Er braucht nur ein oder zwei Sekunden, um zu wissen, ob jemand Freund oder Feind ist. Sehen Sie, er hat schon aufgehört zu bellen. Er glaubt, dass Sie wahrscheinlich okay sind. Er wird Sie noch eine Weile genau im Auge behalten, aber machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Kommen Sie doch herein.«
So freundlich die Einladung auch war, Jess nahm sie nur zögerlich an. Die Küche war immer noch voller Nebelschwaden. Unheilvoll blubbernde Geräusche kamen aus einem großen emaillierten Topf in der Ecke, wo der Herd stand. Der Gestank war alles überwältigend.
»Kleie für die Hühner«, erklärte Muriel und zeigte mit dem großen Holzkochlöffel auf den Topf. »Altmodisch, aber billig. Ich koche Schalen und alle sonstigen Küchenabfälle mit. Die Hühner lieben es. Es ist jetzt fertig. Ich drehe den Herd herunter und lasse es abkühlen. Wir können ins Wohnzimmer gehen. Ich lasse die Hintertür offen. Dann wird es zwar kalt hier drin, aber der Dampf geht raus. Kommen Sie, hier entlang.«
Jess wurde durch einen schmalen, düsteren Flur in das Zimmer geführt, das sie bei ihrem ersten Besuch von draußen durch die Scheibe gesehen hatte. Es war nicht aufgeräumter, wenngleich das benutzte Geschirr abgeräumt worden war – die Reste waren zweifellos in den Topf auf dem Herd gewandert. Noch immer war jede freie Fläche übersät mit Büchern und Zeitungen. Muriel wischte einen Platz auf dem Sofa frei.
»Setzen Sie sich doch. Ich gehe den Holunderlikör holen.«
»Danke sehr, aber das ist ein offizieller Besuch.« Jess setzte sich vorsichtig auf das Sofa. Die Polsterung bestand aus Pferdehaar, wie Jess an den glänzenden schwarzen Strähnen erkannte, die durch mehrere Löcher im Stoffbezug schimmerten.
»Kommen Sie mir nicht damit, dass Sie im Dienst sind und deswegen keinen Drink annehmen dürfen«, sagte Muriel. »Es ist schließlich nur Holunderlikör, selbstgemachter. Er macht Sie nicht betrunken.«
Ein Glas einer leicht trüben farblosen Flüssigkeit wurde ihr in die Hand gedrückt. Jess überlegte, dass es genauso gut schwarzgebrannter Whisky sein konnte. Sie hatte nichts außer Muriels Wort, dass dem nicht so war.
Ihre Gastgeberin ließ sich in einen durchgesessenen Lehnsessel auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Zimmers fallen. Genau über ihrem Kopf hing eins der beiden dunklen Ölgemälde, die Jess durch das Fenster gesehen hatte. Jetzt war zu erkennen, dass es Meereslandschaften waren, die Fischerboote auf einem bewegten Ozean zeigten. Hamlet war den beiden Frauen gefolgt und saß in der Tür wie Zerberus, der den Eingang zur Hölle bewachte. Auch wenn er nur einen Kopf hatte, verbreitete er eine entschieden unterweltliche Atmosphäre. Der Kleiegestank aus der Küche diente als Ersatz für die höllischen Schwefeldämpfe.
»Nun gut«, begann Muriel. »Warum sind Sie hier? Zum Wohlsein!«, sie hob ihr Glas.
»Oh ja, richtig. Zum Wohlsein.« Jess hob kraftlos ihr eigenes Glas und fragte sich, ob sie eine Gelegenheit finden würde, den Inhalt in den neben ihr stehenden Blumenkübel zu kippen, dessen Bewohner längst
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