Asche und Schwert
kühle herbstliche Jahreszeit allesamt zu wenig Stoff am Leib hatten.
Die Menge verstummte, als sie sah, wie die kleine, geheimnisvolle Gruppe feierlich zur Grünfläche marschierte. Die Männer blieben etwa ein Dutzend Schritte vom Zentrum entfernt stehen und setzten ihre Fracht vorsichtig ab.
Spartacus lehnte sich, so weit er konnte, nach vorn und versuchte, den bestmöglichen Blick auf die seltsamen Ereignisse zu erhaschen.
»Was geht da vor sich?«, fragte Varro. »Was kannst du sehen?«
Bis auf das Flattern der Sonnensegel im launischen Wind war es in der ganzen Arena vollkommen still. Alle Blicke ruhten auf den vier Sklaven, die ihre Fracht wieder aufnahmen und bis zur Mitte des Kampfplatzes weitergingen.
Einer der Zuschauer auf der Nordseite räusperte sich laut, und hier und da erklang in seiner Nähe vereinzeltes Kichern. Gleich darauf wurde es wieder völlig ruhig.
Langsam und mit groÃer, theatralischer Geste, wie man sie bei einem feierlichen Ritual erwarten würde, hob der führende Sklave den Deckel der seltsamen Kiste an einer Ecke hoch. Er griff hinein, bekam etwas zu fassen, sprang auf und präsentierte der Menge ein kleines, weiÃes Etwas.
Der Anblick löste donnernden Jubel aus. Das Rasen der Menge lieà die Deckenbalken in den Zellen der Gladiatoren erzittern und stach den Kämpfern wie Messer in die Ohren. Den Augenblick genüsslich ausschöpfend, drehte sich der Sklave langsam nach allen Seiten um, sodass jeder in der Menge die kleine Last sehen konnte, die er hochhielt.
»Jetzt«, sagte Spartacus, »habe ich wirklich alles gesehen .« Er beschrieb Varro das Spektakel.
In der Hand des Sklaven befand sich ein weiÃes Kaninchen. Es war so sauber und rein wie ein für den Tempel vorgesehenes Opfer. Er hielt es an den Ohren, während die Hinterbeine des Tiers ebenso nervös wie nutzlos in der Luft zuckten.
Der Sklave kniete nieder und lieà das Kaninchen frei, das sofort in den Schatten der Tribünenmauer hoppelte. Dort blieb es kurz stehen, hob jedoch gleich darauf den Kopf und sprang in eine andere Richtung. Das Johlen und Kreischen der Menge bildete eine Wand aus Lärm, die sich dem Tier entgegenstemmte, sodass es sich an den einzigen Ort zurückzog, der einem Geschöpf aus Feld, Wiese und Wald vertraut erscheinen musste. Es wechselte nach mehreren missglückten Versuchen noch einmal die Richtung und eilte an die Stelle, die am weitesten von der Tribünenmauer entfernt war â auf die grüne Rasenfläche.
»Es rennt in die Mitte«, berichtete Spartacus, der immer noch nicht begriff, was dieses Schauspiel zu bedeuten hatte. Noch während er zusah, hoben die Sklaven den Deckel vollständig von der Kiste und kippten Dutzende ähnlicher weiÃer Kaninchen in den Sand.
Viele der Tiere taten genau das, was das erste Kaninchen getan hatte. Angesichts des beängstigenden Lärms huschten sie verwirrt hin und her, bevor sie sich von der Menge abwandten und auf das grüne Gras zuhoppelten. Andere blieben wie benommen mitten in der Arena sitzen und verharrten, von Entsetzen gelähmt oder einfach nur gleichgültig, an der Stelle, an der sie sich zuerst niedergelassen hatten.
In den Gängen unter der Erde erklangen plötzlich lautstark mehrere Zimbeln â das Zeichen für die Sklaven, die Tore an beiden Enden der Arena zu öffnen. Ein Dutzend weitere Sklaven, die ebenfalls wie Jäger gekleidet waren, stolperten mit unsicheren Schritten auf den Kampfplatz; jeder von ihnen hielt einen knurrenden, kaum zu bändigenden Hund an einem Lederhalsband.
»Offen gestanden wäre es mir lieber gewesen, zu Fuà zu gehen«, sagte Cicero.
Ihre Sänfte schwankte ruckartig hin und her, als sich die Träger ihren Weg durch die StraÃen Neapels bahnten. Der Verkehr schien nur in eine Richtung zu flieÃen; alle Karren und Sänften strömten demselben Ziel zu. Cicero konnte nichts als Hinterköpfe und Kopfbedeckungen erkennen, als sich die Sänfte wie ein Eindringling durch einen Schwarm Fische schob. Alle strömten auf den gleichen Ort zu: die mit Fahnen geschmückte, von Sonnensegeln überwölbte Arena.
»Ich beschwöre Euch«, sagte Verres, »habt Vertrauen in mein Wort. Es würde Euch kein Vergnügen bereiten, diesen Hügel zu erklimmen. Der lange, gewundene, sanfte Anstieg würde Euch viel zu lange aufhalten, und wolltet Ihr die Treppe nehmen,
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