Aschebraut (German Edition)
anständig!«
Garys Griff um ihren Arm verstärkte sich, und Brenna wurde starr vor lauter Hass auf diesen Mann. »Aber das habe ich nicht gemeint. Sagen Sie mir, ob Lula Belle, ob die Frau aus den Videos meine Schwester war. Geben Sie mir wenigstens diese Kleinigkeit.«
Seine Finger wurden schlaff, und er starrte sie reglos an. »Ich habe keine Ahnung, wer sie war, aber ich hatte gehofft, sie wäre es«, räumte er mit seiner alten, warmen Stimme ein … »Mann, Brenna. Sie hätten mein Gesicht sehen sollen, als ich den ersten Film von ihr bekam. Ich hatte das Gefühl … mit einem Engel zusammen zu sein.«
Er lächelte, verstärkte seinen Griff erneut, und obwohl Brenna versuchte, ihren Arm zurückzuziehen, war er zu stark und zog die Klinge ihres Brieföffners quer über seinen Hals.
Sie sah überall nur Blut, und dann war es vorbei. Denn der Körper dieses Mannes war zerbrechlich. Wie auch der von Clea es gewesen war.
»Das haben Sie nicht verdient«, schrie Brenna, schnappte sich ihr Handy und rief die Polizei. »Selbstmordversuch!«, brüllte sie in den Hörer, aber er gurgelte und zuckte und verließ sie, während sie noch sprach.
Bis sie die Adresse durchgegeben hatte, atmete er schon nicht mehr.
Sie legte ihre Hände auf den aufgeschlitzten Hals. Versuchte es mit einer Herzmassage. Doch es nützte nichts.
Sie haben uns beide gnadenlos im Stich gelassen. Damals Clea. Und jetzt mich.
Zum zweiten Mal an diesem Abend hörte sie Sirenen. Trotzdem blieb sie einfach stehen und starrte auf den Mann, der vor ihr auf dem Boden lag. Auf seine weit aufgerissenen Augen. Die sie einfach offen ließ.
Epilog
Eine Woche später.
»Also, warum hast du mich nicht angerufen?«, fragte Nick, als er vor dem Postamt von City Island hielt.
Diese Frage hatte er ihr während der vergangenen Woche jeden Tag gestellt, und obwohl sie langsam keine Lust mehr hatte, etwas darauf zu erwidern, zauberte sie ihr abermals ein Lächeln ins Gesicht.
»Ich war mitten in einem Messerkampf und habe nicht gedacht: He, ich sollte Nick Morasco anrufen und fragen, ob er nicht vorbeikommen will «, antwortete sie. »Und vor allem hättest du bestimmt die total falschen Klamotten angehabt und mich dadurch in Verlegenheit gebracht.«
»Das ist nicht fair.«
»O doch. Tweed und Stilette passen einfach nicht zusammen, ganz egal, ob es dabei um Messer oder Schuhe geht.«
»Du hast gegen eine der Grundregeln verstoßen.« Er stieg aus, umrundete die Kühlerhaube und öffnete ihr zuvorkommend die Tür.
»Wie bitte?«
»Du bist die Detektivin, Brenna, und ich bin dein Freund, der Cop. Weshalb ich dich am Ende retten muss.«
Sie sah ihn grinsend an. »Du hast gerade gesagt, du wärst mein Freund.«
»Okay, okay.« Er stieß einen Seufzer aus. »So kommen wir nicht weiter.«
Auch wenn sie – wie über den großen Briefumschlag, den Morasco ihr am Vortag ausgehändigt hatte – nicht darüber sprachen, hatten sie sich aus einem bestimmten Grund auf den Weg hierher gemacht.
»Also«, hatte er ihr einen Tag zuvor kurz vor dem Aufstehen erklärt: »Ich will keine Geheimnisse vor dir haben, aber will dich auch nicht zwingen, dich mit Dingen zu befassen, wenn du es nicht willst.«
»Und was sollen wir da machen?«
Er war aus dem Bett gestiegen, hatte eine Schublade seiner Kommode aufgezogen, Brenna mit dem schmerzerfüllten, mitleidigen Blick bedacht, den sie so hasste, und ihr dann den Umschlag überreicht. »Das hier hat Grady Carlson mir gegeben.«
»Oh … mein … Gott …«
»Er ist gestern gestorben, aber letzte Woche habe ich ihn noch besucht, und da hat er mir den Umschlag in die Hand gedrückt.«
»Und was ist drin?«
»Ein Geheimnis.« Er hatte sie reglos angesehen. »Dein Geheimnis. Du kannst damit machen, was du willst.«
Und am Abend in ihrer Wohnung hatte sie den Umschlag geöffnet. Den Namen ihres Vaters auf der Polizeiakte gesehen, den Umschlag wieder verschlossen, in die Schreibtischschublade gelegt und sich abgewandt wie von einer schlechten Erinnerung. Später, hatte sie gedacht. Nicht jetzt. Jetzt waren zu viele andere Dinge los. Und obwohl sie tief in ihrem Innern wusste, dass auch sie die Gabe der Zerstörung hatte – denn bei jedem Film von Lula Belle hatte das Blut in ihren Adern regelrecht vor Zorn gekocht ( Sie weiß es, sie weiß alles …, hatte sie gedacht) –, wagte sie es nicht, den Stein tatsächlich anzuheben und darunter nachzusehen. Denn sie war noch nicht bereit für die endgültige
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