Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Kampf führte und dass er sie in diesem Kampf an seiner Seite hätte haben wollen, und: » Es gibt Frauen, die ihre Kinder nicht verdienen.« Aha. Alex las weiter. » Wenn man nicht alle Kinder mag, dann sollte man gar keine haben.«
Klare Worte, dachte Alex düster. Und doch begriff er nicht, was er da las. Was sollte das heißen: » Wenn man nicht alle Kinder mag«?
Verstand es sich nicht von selbst, dass man nicht alle Kinder gleichermaßen mochte? Es war doch kaum wahrscheinlich, dass man irgendeines mehr liebte als die eigenen, überlegte Alex.
Noch einmal las er Ellens Aktennotiz. Die Frauen müssten bestraft werden. Die Frauen dürften ihre Kinder nicht behalten…
Die Frauen?
Sein Magen krampfte sich zusammen.
» Du täuschst dich, Fredrika«, murmelte er vor sich hin.
Der Zorn des Mannes war nicht allein auf Sara Sebastiansson gerichtet. Jedenfalls nicht, wenn das stimmte, was die Frau aus Jönköping gesagt hatte. Der Zorn des Mannes war gegen mehrere Frauen gerichtet. Frauen, die nicht alle Kinder gleichermaßen mochten. Und wenn die Frau in Jönköping die Wahrheit sagte, dann hatte der Mann schon einmal versucht, seinen Plan in die Tat umzusetzen, sein Vorhaben aber nicht vollenden können.
Was ist das hier für ein Wahnsinn?, dachte Alex. Und wer sind die anderen Frauen?
Magdalena Gregersdotter hatte mehrere Jahre gebraucht, bis sie sich in Stockholm wohlfühlte. Sie und ihr Mann hatten die Familienplanung so lange aufgeschoben, bis Magdalena das Gefühl hatte, in ihrer neuen Heimat angekommen zu sein.
» Ich will keine Kinder, ehe ich nicht ein eigenes soziales Netzwerk habe, auf das ich mich verlassen kann«, hatte Magdalena immer gesagt, und Torbjörn, ihr Mann, hatte das eingesehen. Es war ihm klar gewesen, dass es keinen Sinn hatte, auf Familiengründung zu drängen, wenn die zukünftige Mutter sich aus welchem Grund auch immer noch nicht bereit dafür fühlte.
Aber dann war es nicht so gekommen, wie sie es sich gedacht hatten. Nur allzu bald, nachdem sie ihr Kinderprojekt gestartet hatten, stellte sich heraus, dass sie keine Kinder bekommen konnten. Ein ganzes Jahr lang hatten sie es versucht– oh, wie sie das Wort » versuchen« hassten!–, und dann war eine Menge Untersuchungen gefolgt. Ein weiteres Jahr versuchen. Insgesamt elf In-vitro-Behandlungen. Und dann die Eileiterschwangerschaft.
» Wir hören auf«, hatte sie im Krankenbett geweint. » Ich kann nicht mehr.«
Torbjörn war es genauso gegangen, also hatten sie sich beide freigenommen und waren ein halbes Jahr lang um die Welt gereist. Dann hatten sie sich für eine Adoption entschieden.
» Aber es ist doch dann gar nicht richtig eures«, hatte Torbjörns Mutter gesagt.
Es war das einzige Mal in Magdalenas Leben gewesen, da sie erwogen hatte, jemanden zu schlagen.
» Natürlich wird es richtig unseres«, hatte sie gezischt und jede Silbe dabei betont.
Und natürlich war es so gewesen. An einem Tag im März hatten Torbjörn und Magdalena Natalie in Bolivien abgeholt, und seither war kein einziger Tag vergangen, an dem Magdalena nicht mit einem Lächeln auf den Lippen aufgewacht war. Natürlich klang das albern, wenn man es laut sagte, aber es war die Wahrheit. Sie war so glücklich gewesen, dass nicht einmal ihr anstehender vierzigster Geburtstag ihr auch nur ansatzweise Kummer beschert hatte.
» Du bist so schön«, hatte Torbjörn ihr an jenem Morgen ins Ohr geflüstert.
» Natürlich bin ich das, ich bin ja auch noch jung«, hatte sie geantwortet.
Wer kleine Kinder hatte, blieb auch selbst ein junger Mensch, fand Magdalena. Und die kleine Natalie war noch nicht mal ein Jahr alt gewesen, weshalb Magdalena sich besonders jung gefühlt hatte.
Im Nachhinein hatte sie sich nicht mehr daran erinnern können, warum sie plötzlich das Gefühl hatte, immerzu nach Natalie sehen zu müssen. Obwohl sie langsam größer wurde, schlief sie noch immer jeden Tag draußen im Kinderwagen. Erst machte Magdalena einen Spaziergang mit ihr, damit sie einschlief, und dann stellte sie den Wagen auf der Terrasse ab, die zu der Wohnung gehörte. Die Terrasse war durch eine hohe Hecke, die Torbjörn zusätzlich mit einem Zaun verstärkt hatte, vor Blicken geschützt.
Deshalb hatte Magdalena auch ein ganz sicheres Gefühl, wenn sie Natalie dort draußen schlafend zurückließ. Sie ließ stets die Tür zur Terrasse offen und legte das Babyfon in den Wagen, damit sie auch den kleinsten Vogel hörte, der sich ihm näherte, den geringsten Laut,
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