Aschenputtels letzter Tanz
Dinge übermitteln, die in mir vorgehen, und ein Gefühl auf ihn übertragen. Oder auch andersherum, denn ich spüre, wie sich seine Unruhe in Wellen auf mich überträgt.
»Zu Hause ist es kaum auszuhalten, es ist wie im Mausoleum. Man könnte glauben, es wäre jemand gestorben.«
»Deine Eltern sind sicher total geschockt, und Nina … sie braucht einfach Zeit, um das alles zu verarbeiten.«
»Kann sein.« Der Blick, mit dem er Tennessees Treiben an der Tür verfolgt, wird düster.
»Was?«
»Nina verhält sich irgendwie eigenartig. Ich weiß auch nicht. Es ist, als würde sie schlafwandeln. Sie sieht dich zwar an, aber wenn du ihr eine Frage stellst, kriegt sie das oft gar nicht mit. Sie sitzt einfach da und starrt ins Leere.«
»Sie ist doch erst kurz aus dem Krankenhaus raus«, wende ich ein, aber er schüttelt den Kopf.
»Das ist es nicht. Ich kann dir das nicht beschreiben, es ist einfach so seltsam. Ich habe immer gedacht, wir könnten über alles reden, sie und ich. Aber jetzt …«
Ich verstehe ihn nur zu gut, auch Elsas Verhalten ist mir ein Rätsel. Über unseren Köpfen braut sich etwas zusammen, das kann ich spüren.
Grübelnd beobachte ich Edgars Versuch, vor Tennessee davonzulaufen, der es sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, eine kleine Rauferei zu beginnen. »Weißt du noch, wie du mich gefragt hast, ob mir noch irgendetwas eingefallen ist? Es gibt da tatsächlich noch etwas.« Ich erzähle ihm nun doch von Elsas Mailadresse. »Irgendwo muss es eine Verbindung zwischen Nina und Elsa geben, davon bin ich überzeugt.«
»Vielleicht sollten wir mal mit der Clique vom Scherbenberg sprechen«, sagt er. »Mit uns reden sie sicher eher als mit der Polizei. Womöglich können sie sich an etwas erinnern. Jemanden, der schlecht über die beiden geredet hat. Einen Versuch wäre es wert.«
»Warum nicht. Es ist allemal besser, als nur herumzusitzen.«
»Ein paar von den Typen kenne ich sogar. Bei dem Wetter sind um diese Uhrzeit garantiert schon die Ersten dort.«
Nachdem wir die Ratten wieder eingefangen haben, ziehe ich Turnschuhe an und stecke diesmal auch das Handy ein. Mutsch sagen wir nicht, wohin wir wollen, weil sie mir quasi verboten hat, ins Moor zu gehen. Also, nicht so richtig. Das Verbot lag eher zwischen den Zeilen, daher hoffe ich, dass sich die Strafe in Grenzen hält, sollte es doch rauskommen. Manchmal muss man eben machen, was einem das Herz rät – und nicht eine überbesorgte Mutter. Außerdem ist Tobi bei mir, da wird sich der Täter sicher nicht an mich heranwagen. Hoffe ich jedenfalls …
Doch so großspurig ich mich am Anfang gebe, so schweigsam werde ich, je näher wir den Eichen kommen. Die Blätter leuchten in einem satten Grün, über unseren Köpfen zwitschert eine ganze Armada von Vögeln, und alles sieht so friedlich aus wie in einem Park.
Trotzdem bekomme ich eine Gänsehaut.
Plötzlich stelle ich mir alle möglichen Dinge vor: dass der Schatten hinter jedem Baum und unter jedem Busch auf mich lauert, weil ich ihm entkommen bin und er meine Spur aufgenommen hat. Das Windrauschen in den Bäumen wird zu jenem Flüstern, von dem die Alten immer reden.
Tobi scheint mein Zögern zu bemerken und geht entschlosseneinen Schritt vorwärts. Dann noch einen, bis er unter den Eichen steht und mir über die Schulter einen Blick zuwirft. Er streckt die Hand nach mir aus, und ohne zu überlegen, ergreife ich sie und lasse mich hinüberziehen.
Hinein in das kühle Dunkel des Bruchwaldes.
Mein Herz rast und mein Blick huscht hektisch über das Unterholz, in dem es hin und wieder knackt, aber außer uns scheint niemand hier zu sein. Die Jugendlichen aus dem Ort nehmen einen anderen Weg, um zum Scherbenberg zu kommen, der weiter vorn an der Straße beginnt. Es ist ein schmales Stück zwischen zwei Grundstücken, das niemandem zu gehören scheint und deshalb keinen Zaun besitzt. Inzwischen ist der Weg dort festgestampft und halbwegs sicher.
Anders als der Pfad, den wir nehmen.
Auf dem schwankenden Grund des Moores gehe ich voran. Obwohl ich nicht von hier bin, kann ich mich auf den Torfplatten besser bewegen als Tobi.
Entschuldigend sieht er mich an. »Ich gehe nicht oft hierher.«
Vorsichtig laufe ich weiter, teste den Untergrund und Tobi folgt meinen Schritten. Mit ausgestreckten Armen bewegen wir uns vorsichtig weiter wie Seiltänzer hoch oben im Zirkuszelt. Wer immer auch Elsa und Nina überfallen hat, muss sich wirklich gut im Geißelmoor auskennen und sich auf
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