Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
einer Mauer zu landen – zur Hälfte drinnen, zur anderen draußen. Die Atome von Menschen und Ziegeln sind nicht sonderlich kompatibel.«
Savage fuhr mit seinen Vorbereitungen fort, überprüfte und lud seine Pistole, zählte die Patronen an seinem Gurt nach sowie seine Reservemunition, die in kleinen Taschen an seinem Gürtel verstaut wurde. Schließlich sicherte er die Schnürsenkel seiner Stiefel mit festen Doppelknoten. »Du glaubst nicht, wie viele Männer ich auf dem Schlachtfeld schon sterben sehen habe, nur weil sie über ihre Schnürsenkel gestolpert sind.«
Ash kratzte sich am Daumen. »Auf die kleinen Dinge kommt es an, richtig?«
Savage klopfte sich mit dem Stock gegen die Sohlen. »Es ist eine Schande, dass wir nicht für dieselbe Seite kämpfen, Junge.«
»Jepp, gemeinsam könnten wir über die Galaxis herrschen, was?«
»Traurig, traurig. Zu meiner Zeit hätten wir Shakespeare oder Homer zitiert.«
»Homer kann ich auch zitieren – ich kenne ganze Folgen der Simpsons auswendig.«
»Meister, wir sind fertig.« Jackie stand kampfbereit einige Meter neben ihnen. Ihre Arme wurden von steifen Metallplatten geschützt, an deren Vorderseite Klingen angebracht waren. Die Haut unter ihrem T-Shirt war von hellbraunem Fell bedeckt und die Muskeln an Schultern und Rücken waren deutlich zu erkennen. Der Wind zerzauste ihre dicke Mähne und aus ihrem verlängerten Kiefer ragten lange Reißzähne. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, sodass ihre langen, krallenbewehrten Zehen auf dem steinernen Weg klackende Laute verursachten. An Oberschenkeln und Schienbeinen trug sie ebenfalls Platten aus Metall.
Die fünf Hyänen-Rakshasas waren ähnlich ausgerüstet, mit Arm- und Beinschutz, jedoch ohne eine Rüstung für den Oberkörper. Ash begriff, dass diese Ausstattung ihnen ermöglichte, sich sicher zu verwandeln – ein Ganzkörperschutz hätte die Metamorphose äußerst schmerzhaft gestaltet, da ihre Tier- und ihre Menschengestalt so unterschiedlich waren.
»Womit rechnen Sie?«, wollte Ash wissen. Die Insel vor ihnen war für Tausende von Jahren im Meer versunken gewesen. Was konnte dort überlebt haben, das solcher Vorsichtsmaßnahmen bedurfte?
»Mit dem Schlimmsten, wie immer. Das hilft, am Leben zu bleiben«, antwortete Savage.
»Und was sind das für Flüche, von denen der Hai geredet hat?«
»Nach Ravanas Tod übernahm sein Bruder Vibheeshana die Krone. Seine Zauberkünste waren beinahe ebenso groß, doch ihm fehlte die Leidenschaft, der Ehrgeiz.«
»Was ist passiert?«
»Die Rakshasas sind fortgezogen. Bald schon war die Stadt leer, abgesehen von Vibheeshana und seinem Hofstaat – Adelige, die sich nicht von ihrem einstigen Ruhm trennen konnten. Eine ganz schön traurige und durchaus bemitleidenswerte Sache. Dann, in einer schicksalhaften Nacht, zog ein furchtbares Unwetter auf. Wellen, Dutzende von Metern hoch, krachten gegen das Ufer und ließen das Eiland erzittern. Als der Sturm nachließ, war Lanka verschwunden.«
»Einfach so? Irgendwie ziemlich … praktisch.«
Savage blickte zur Insel. »Manche behaupten, Lanka wurde allein von Ravanas Magie aufrechterhalten. Nachdem er fort war, brach die Insel in sich zusammen. Andere glauben, dass Vibheeshana sie absichtlich vernichtet hat. Wer will schon ein verlassenes Königreich regieren? Er hatte Angst, dass Menschen kommen würden, um in den Trümmern der Paläste nach Ravanas Geheimnissen oder Reichtümern zu suchen. Also bedeckte er die ganze Insel mit Flüchen und Fallen, um die Raffgierigen fernzuhalten – und als letzte, endgültige Maßnahme hat er alles auf den Grund des Meeres verbannt.«
»Dann war dieser Vibheeshana wohl ein helles Köpfchen.«
Die Mauern Lankas ragten aus dem Meer. Auf den letzten hundert Metern bestand der Damm nur noch aus Schotter, sodass Ash sich nur langsam vorwärtsbewegen konnte. Hin und wieder musste er über Trümmerberge klettern, die schlüpfrig von Algen und mit scharfen Korallen und Muscheln bedeckt waren.
Darauf konzentrierte er sich so sehr, dass er beinahe nicht bemerkt hätte, wie der Rest der Truppe anhielt.
»Wir sind da«, sagte Savage.
Weiß wie Perlen schimmerten die Mauern in der Sonne. Als Ash sie genauer betrachtete, fielen ihm Millionen von weiteren Farben auf, die darin wirbelten: alle möglichen Schattierungen von Rot, Rosa, Grün, Blau und mehr, gebrochen und kristallen, sodass sie vielfarbige Strahlen in den unendlich scheinenden Raum innerhalb der Mauern schickten. Glänzende
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