Ashby House
dieser Nacht. Und in manchen Augenblicken, meist, wenn sie kurz davor war einzuschlafen, glaubte sie aus dem Stockwerk über ihr Geräusche zu hören. Ein Schlagen, gefolgt von einem ungeduldigen Wispern.
KAPITEL 16
»Wo ist Lucille Shalott? Diese Frage stellt sich die Presse nun schon seit Wochen, doch langsam dringt Licht in das Dunkel um das plötzliche Verschwinden der berühmtesten Fotografin neben Annie Leibovitz. Handelte man es gestern noch als reines Gerücht, dass sie möglicherweise nach England emigriert ist, um sich von den Folgen des Unfalls zu erholen, bei dem sie unbestätigten Angaben zufolge schwer verletzt wurde, so scheint heute kein Zweifel mehr darüber zu herrschen, dass die Künstlerin sich in Großbritannien aufhält. Kein Geringerer als Hollywood-Herzensbrecher Stephen Steed weist den Weg. Der beliebte Schauspieler, der zurzeit in Berlin für das Spionagedrama ›Dusk sets in‹ vor der Kamera steht, hat laut Augenzeugenberichten gestern ein Flugzeug nach London bestiegen. Er verließ die Dreharbeiten allerdings nicht, ohne seine Kollegen zu informieren, dass er sich auf den Weg zu Lucille Shalott macht. Auch wenn Charlize Theron dies nicht bestätigt hat, ließ der deutsche Action-Star Kurt Hans, der im Film Steeds Widersacher spielt, keinen Zweifel an der Auskunft: ›Ja, er sagte, er reist nach England, um dort Lucille Shalott zu treffen.‹
Bestätigt wird diese Information auch von Chef-Steward Ricky Liebermann, der Lucille Shalott und ihre SchwesterLaura eigenen Auskünften zufolge bei ihrer Atlantiküberquerung auf der ›Queen Elizabeth II.‹ betreute. Die beiden seien unter Decknamen gereist, hätten sich an Bord jedoch keinesfalls zurückgezogen, sondern ihr Essen, wie die meisten Gäste, in den Salons eingenommen.
Wo genau sich Lucille Shalott nach ihrer Ankunft in Europa niedergelassen hat – darüber gibt es unterschiedliche Vermutungen. So scheint es naheliegend, dass sie ihren häufig kolportierten Streit mit Madonna bereinigt hat und die Gastfreundschaft der Ritchies in London genießt. Hollywood-Kenner und Celebrity-Experte George Rottweiler vom ›People‹-Magazin hält dies jedoch für unwahrscheinlich. ›Wenn es um die Kabbala geht, kennt Lucille Shalott keine Gnade.‹
Derweil häufen sich Aussagen, dass sich Lucilles Schwester Laura Shalott in Cornwall aufhält. Ob die Schwestern sich jedoch gemeinsam dort befinden, ist fraglich.«
Sie las nicht weiter. So viel zur Diskretion der Einwohner von St. Just. Der Artikel war in über sechzig englischsprachigen Net-Zeitungen veröffentlicht. Binnen kurzer Zeit würde eine verkürzte A P-Meldung über die Ticker gehen, und auch die Korrespondenten von Reuters saßen an ihren Telefonen und überprüften die Informationen.
Wie lange würde sie Lucilles Verschwinden geheim halten können, wenn erst die Presse vor der Tür stand? Und wie lange würden die Vertreter der Presse auf sich warten lassen, nun, da sie wussten, dass sie einen doppelten Fang machen konnten: Lucille Shalott
und
, noch weitaus spektakulärer als eine Society-Fotografin, der sexiest man alive, Stephen Steed.
Der naheliegendste Ausweg – Flucht – stand nicht zur Debatte. Das Haus zu verlassen, ohne Lucille gefunden zu haben, schied aus. Doch ebenso unmöglich war es, LucillesVerschwinden der Presse oder sonst jemandem beizubringen, der nicht selbst gesehen hatte, wozu der Dunkle Raum und das Turmzimmer fähig waren. Wie sollte man einer aufgeklärten Welt einen Spuk plausibel machen?
Steerpike schenkte eine Tasse Tee ein und stellte sie auf ihren Schreibtisch. »Es war bereits in den Nachrichten. Radio und Fernsehen.«
Laura schaltete den Computer auf Ruhezustand und schaute zu, wie Steerpike sechs Stück Zucker in ihre Tasse fallen ließ. »Es war eine Frage der Zeit. Das Netz ist voll davon. Wie konnte das bloß geschehen?«
»Die falsche Rose …«
»Aber wenn sie die Informantin war, weshalb hat sie uns dann auf die Fernsehsendung hingewiesen. Ich verstehe es einfach nicht.«
»In einem so kleinen Ort kann man kein Geheimnis bewahren. Wenn alle Bescheid wussten, dann war es in der Tat nur eine Frage der Zeit.«
»Aber Stephens Ankunft? Wer sollte davon etwas mitbekommen haben? Es war doch kein Mensch auf der Straße, als er ankam. Und er wird bei den Dreharbeiten kaum erzählt haben, dass er in ein kleines Küstenkaff namens St. Just reist.«
»Schauen Sie mich nicht so an. Ich habe niemandem etwas gesagt.«
Laura wurde
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