Ashby House
sich ihres intensiven Blickes bewusst und dimmte ihn wie eine Schlafzimmerglühbirne.
»Entschuldigung, das wollte ich auch nicht unterstellen.« Sie nahm einen Schluck Tee, und die Süße kam wie ein angenehmer Schock. »Haben Sie letzte Nacht schlafen können, Steerpike?«
»Leidlich, Miss Shalott.«
»Die Geräusche?«
»Immer kurz vor dem Einschlafen.«
»Ich hatte früher keine Vorstellung davon, wie sehr Geräusche, die man nicht zuordnen kann, einen verrückt machen können. Es hörte sich an, als wollte jemand heraus. Ich habe mir die Decke über den Kopf gezogen.«
»Miss Shalott, wir müssen noch ein paar praktische Dinge erledigen. Falls es wirklich zu einer Art Belagerung kommt, wäre es besser, die Vorratskammern zu füllen.«
Sie schaute aus dem Fenster auf die Auffahrt und beobachtete, wie ein Abschleppwagen den zerquetschten Mietwagen auf seine Transportfläche lud. »Ich schnappe mir Stephen, und wir fahren in die Stadt. So kann ich ihn auch davon abhalten, Lucille zu suchen.«
»Wenn Sie in der Stadt sind, dann sollten Sie auch einen Eisenwarenladen aufsuchen und Werkzeug besorgen.«
»Werkzeug? Was für Werkzeug brauchen wir denn?«
»Das aggressivste, das Sie finden können. Wir sollten ein letztes Mal versuchen, die Tür zum Turmzimmer zu öffnen.«
Laura zuckte zurück, als habe man sie geschlagen. »Die Vorstellung macht mir Angst, Steerpike. Selbst wenn wir die Tür aufbekommen – was wird uns dort erwarten?«
»Das werden wir sehen, wenn es so weit ist, fürchte ich.«
»Es tut mir so leid, dass du Lucille nicht mehr gesehen hast, aber ihr Wagen kam in aller Frühe, damit sie um neun Uhr in London in der Klinik sein kann.«
»Du hättest mit ihr fahren sollen, Laura.«
»Sie sagte, ich solle mich besser um dich kümmern.«
»Immer denkt sie zuerst an die anderen. Solche Menschen sind heute doch fast ausgestorben. In Los Angeles jedenfalls.«
Laura verzichtete auf einen Kommentar. In Ermangelungeigenen Nachwuchses war Stephen zu einer Art erwachsenem Ziehkind für Lucille geworden. Und da sie seine Anwesenheit schon immer genossen hatte, war Laura nicht einmal eifersüchtig auf die mütterlichen Zuwendungen, die ihm zuteilwurden. Familiarität zwischen Laura und Lucille erstreckte sich nun schon seit Jahren lediglich auf das Gefühl, im selben Boot zu sitzen. »Dieser verdammte Linksverkehr macht mich noch wahnsinnig.«
»Dabei könnte man meinen, du hättest nie einen anderen Wagen gefahren. Außer vielleicht einen Jaguar oder einen Aston Martin.«
In der Tat schien Laura einer Fernsehserie der sechziger Jahre entstiegen zu sein. In dem hautengen Bodystocking aus zartestem schwarzen Leder, der knappen Rennfahrerjacke aus dem gleichen Material und dem i-Tüpfelchen des Outfits – schwarze Autohandschuhe mit einem blauen Streifen, der von der Spitze des Mittelfingers bis zum Handgelenk verlief – wirkte sie wie eine fürs dritte Millennium überarbeitete Ausgabe von Emma Peel. Ihre roten Haare wippten in einer perfekten Außenwelle, während sie die Landstraße nach St. Just hinabschoss. Falls die Presse schon in Cornwall eingetroffen sein sollte, dann wollte Laura zumindest spektakulär aussehen.
Stephen hatte sich aus Steerpikes Kleiderschrank bedienen dürfen. Erst als er in dessen schwarzem Rollkragenpullover, in verwaschenen Jeans, mit Schiebermütze und Sonnenbrille vor ihr stand, wurde ihr die Ähnlichkeit der beiden bewusst. Sie hätten Brüder sein können.
Das typische Cornwall-Klima hatte sich endlich durchgesetzt. Nach dem schrecklichen Eisregen hatte es über Nacht getaut. Die Felder flogen braun und brach am Straßenrand vorbei, und die Wiesen schimmerten in einem leuchtendenFrühlingsgrün, als seien sie durch den ebenso unerwarteten wie untypischen Wintereinbruch schockgefrostet worden und nun zu neuem Leben erwacht.
Stephen schien etwas Ähnliches gedacht zu haben, denn recht unvermittelt bemerkte er: »Wusstest du, dass Walt Disney sich hat einfrieren lassen, in der Hoffnung, dann wieder zum Leben erweckt zu werden, wenn die Krankheit, an der er gestorben ist, heilbar ist?«
»Oh, mein Gott! Wer würde so etwas wollen?«
»Hm.« Er schämte sich ein wenig, so am Leben zu hängen.
»Stell dir vor, er kommt zurück, und statt Mickey Mouse lieben die Kinder Shrek.«
»Es ist schon komisch. Früher war alles irgendwie eindeutiger. Die Bösen waren böse und hässlich, und die Guten waren gut und schön. Also in Hollywood eben.« Stephen
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