Ashby House
Georgia, Lorna Eckels den Kampf mit einer Angestellten des Bodenpersonals der British Airways auf, die sich weigerte, der Filmagentin einen Einzelplatz am Gang zu reservieren.
Unerklärlicherweise hatte es keine First-Class-Plätze für den Direktflug L. A. – London mehr gegeben, und auch der Flug über Atlanta sah nur noch Plätze in der Business Class vor. Lorna hatte unleidlich reagiert, als die Flugbegleiterin auf ihre Frage nach kohlenhydratarmem Weißwein in Lachen ausgebrochen war und humorig bemerkt hatte, dass der im Ausschank befindliche chilenische Chardonnay zumindest fettfrei sei. Ferner hatte der Flug United 7518 von Los Angeles nach Atlanta zu denjenigen gehört, in denen atmosphärische Störungen vor allem im Innern der Maschine vorherrschen, und dies lag zum einen an den zahnenden Zwillingsbabys, die zusammen mit ihrer Nanny die Plätze hinter Lorna belegten, und zum anderen an dem angetrunkenen Nachrichtenmoderator, dessen Flugangst in einem wiederkehrenden Gebrauch der kleinen, wasserfesten Tüten Ausdruck fand, die die Fluggesellschaften in den antediluvianisch anmutenden Netzen am Vordersitz für genau diesen Zweck unterzubringen pflegen.
Sagen wir, Lorna war gereizt, als ihr die British-Airways-Angestellte nicht den Luxus einräumen wollte, auf den zu verzichten die Agentin keinesfalls bereit war. Und so kam es, dass nach einigen Handgreiflichkeiten die Flughafensicherheit einschritt, Lorna in Gewahrsam nahm und die Angestellte des Bodenpersonals einem Sanitäter übergab. So blieb Lorna zumindest ein Transatlantikflug mit Babys an Bord erspart.
Als ihr Blutalkoholtest abgeschlossen war und sie allein in ihrer Ausnüchterungszelle saß, gab sie als Erstes ihrer Empörung über die Umstände, denen sie sich ausgesetzt sah, lautstark Ausdruck. Doch als ihr Alkoholpegel wieder auf die für sie üblichen 1,0 Promille gesunken war und ihr weder Xanax noch Prozac noch Lithium zur Verfügung standen,stieg mit kalten Krallen die Angst in ihr empor. Sie hatte den Kontakt zu ihren ehemals wichtigsten Klienten verloren. Lucille Shalott hatte sich von ihr abgeschottet, was unter dem Unbrauchbarkeits-Aspekt allerdings nicht weiter dramatisch war, aber Stephen Steed, der seine Mobiltelefone niemals ausschaltete, Stephen Steed, ihre Goldgrube, die Krone ihrer Schöpfung, Stephen Steed war das erste Mal, seit sie ihn kannte, telefonisch nicht erreichbar. Wenn sie eine seiner Nummern wählte, erklang am anderen Ende der Leitung nur ein statisches Rauschen. Dass er womöglich in den Fängen der verschlagenen, verantwortungslosen Laura Shalott war, streute, um es mit Eliza Dolittle auszudrücken, dem Gaul, der ihre Angst war, noch einmal so richtig Pfeffer in den Arsch.
Kurz bevor sich im Osten die Sonne zu ihrem Aufstieg anschickte und über die Horizontlinie spähte, war Laura an dem Feldweg angelangt, der an der alten Mine vorbei in Richtung Landstraße führte. Die Weite des Meeres zu ihrer Linken hatte sie beruhigt. Das Geräusch des Ozeans, mit dem sie aufgewachsen war, schien zum ersten Mal seit Lucilles Unfall wieder etwas Tröstliches zu haben. Sie verharrte an der Weggabelung, und erst, als der Hund nach einem Blick auf seine Herrin den Weg ins Festland hinein einschlug, setzte auch sie sich in Bewegung.
Auf halbem Weg zum Steinmonument, das den Eingang der Mine verschloss, ging in blassem Gelb die Sonne auf. Vor ihr, auf einem Areal von mehreren hundert Quadratmetern, waren hellglänzende Steine in einer gezielt wirkenden Anordnung über den Boden verteilt. An einigen Stellen jedoch waren nur gigantische Vertiefungen übrig geblieben, die sich von dem Druck der Steine über Hunderte von Jahren gebildethatten. Langsam schritt sie auf einen dieser Krater zu, darauf bedacht, auf der matschigen Erde nicht auszugleiten, schaute hinab und sah – nichts. Nur eine Grube, wo früher ein Stein gewesen war.
Erst als die Erinnerung an einen Film in ihr hochstieg, den sie vor Jahrzehnten gesehen hatte, Roman Polanskis »Tess«, dämmerte Laura allmählich, wo sie sich befand. Es war jedoch nicht die Assoziation zu Stonehenge und seinen Geheimnissen, die sie frösteln ließ, sondern ein Gefühl aus ihrem tiefsten Innern, das, wie eine Klaviersaite angeschlagen, in ihr zu klingen begann und sich zu einem pochenden Schmerz steigerte, von dem man weiß, dass er einen lange begleiten wird.
Wenn man Angst hat, soll man pfeifen. Aber Laura schämte sich, pfeifend durch die Morgenlandschaft zu
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