Ashes - Pechschwarzer Mond (German Edition)
Stoppelhaare auf seinem riesigen Schädel sahen aus wie eine Bürste.
Auf der Rückseite in verblasster Schrift: Finn ’68 Ben Tre . Die Ortsangabe sagte Tom nichts. Er studierte angestrengt die Uniform, um seinen Rang zu erkennen. Major oder Lieutenant Colonel – und war das ein Gattungsabzeichen der Sanitätstruppe? Könnte sein. Wellers drei Rangabzeichen nach war er Sergeant. Ein Kommandeur und sein Spieß.
Nun kannte Tom zwei Namen: Chris Prentiss und Finn.
Welches Monster zuerst erledigen … das war die Frage.
Weller hatte die Stellen eingezeichnet, wo Rule am wahrscheinlichsten Bogenschützen stationiert hatte. Aber Tom entdeckte keinen, und es surrten auch keine Pfeile aus den Bäumen. Zwar war er heilfroh, nicht mit einem Pfeil im Hals oder Rücken zu enden, dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Bei der dritten Querstraße war er sich sicher.
Jede Haustür stand offen. Und den gesplitterten Pfosten und schief hängenden Fliegentüren nach zu urteilen, waren sie nicht freiwillig geöffnet worden. Man hatte jedes einzelne Haus gestürmt, durchsucht und dann – seine Augen blieben an einem hastig gesprühten roten X an einem Türpfosten hängen – von einer Liste abgehakt. Eine Razzia, um an Lebensmittel und andere Vorräte zu kommen, war seine erste Vermutung.
Aber was, wenn sie nach Chuckies gesucht hatten? Falls Rules Kinder und Enkel und all ihre Freunde zurückgekehrt waren, gebot es die Vernunft, Haus für Haus zu durchkämmen, um sie aufzuspüren. Der Zeitpunkt stimmte genau. Nach dem Schnee, den es in die Windfänge und Korridore geblasen hatte, lag das Ereignis schon einige Wochen zurück. Aber man würde doch damit nicht aufhören, es bei einer einmaligen Aktion belassen? Schließlich wusste man nicht, wann sich vielleicht weitere Kids hereinschlichen. Man musste Wachen aufstellen und patrouillieren. Warum also war keiner da?
Langsam und bedächtig drehte er sich einmal um die eigene Achse. Bei den Häusern, die nach Süden und Westen ausgerichtet waren, hingen lange Eiszapfen an den Dachvorsprüngen und Regenrinnen. Die meisten Häuser mit Nordfassade waren dick verschneit. Jeder, der noch hier war, musste sich irgendwie warm halten. Er schnüffelte und bekam tatsächlich eine Brise Rauch von verfeuertem Holz in die Nase, aus Nordost und der Ortsmitte. Zwar hörte er außer dem Säuseln des schwachen Windes immer noch nichts, aber wahrscheinlich gingen die Menschen mit ihrer Energie sparsam um und bewegten sich so wenig wie möglich.
Da schlich zu seiner Linken plötzlich etwas Großes, Orangefarbenes um die Ecke eines zweigeschossigen Hauses. Blitzschnell drehte er sich um, er hatte die Uzi schon im Anschlag, bevor er überhaupt wusste, auf was er zielte. Kaum entdeckte die Katze ihn, erstarrte sie mit erhobener Pfote. Etwas Pelziges baumelte aus ihrem Maul. Einen Herzschlag lang sahen sie einander an. Keine Ahnung, wie es der Katze ging, aber sein Herz hämmerte wie wild. Dann trottete das Tier augenscheinlich unbeeindruckt eine verschneite Treppe hoch und flitzte durch die offene Haustür.
Tom ließ die Waffe sinken. Eine Katze? Höchst eigenartig. Man brach bereits Türen auf, weil man nach Vorräten suchte. In einem Hungerwinter waren Haustiere Freiwild. Dass man die Hunde verschonte, verstand er, die erkannten Chuckies. Und die Pferde brauchte man auch. Aber wirklich niemand brauchte …
Wenn er der Katze nicht hinterhergestarrt hätte, hätte er sie nie entdeckt. Doch so erspähte er weit weg einen verschwommenen olivgrünen Fleck – einen Parka – , und ein Lichtreflex blinkte im fernen Wald links hinter dem Haus.
Theoretisch führten viele Wege nach Rule. Die zwei Jungs, die sich da durch den Wald schlugen, mussten von Norden gekommen sein. Beide hatten Gewehre und bewegten sich langsam und vorsichtig, die Köpfe über den Schnee gebeugt. Sie hatten ihn noch nicht entdeckt, aber das war nur eine Frage der Zeit.
Tom lief die Stufen hoch und stürzte hinter der Katze ins Haus. Kaum war er drin, bemerkte er zwei Dinge auf einmal: einen seit langer Zeit eingetrockneten Blutfleck auf dem Boden und Verwesungsgeruch. Diese Katze musste irgendwo einen hübschen Vorrat an toten Mäusen haben. Er ging an einem Schrank unter der schmalen Treppe rechts vorbei in die Küche, in der heilloses Durcheinander herrschte. Schränke hatte man aufgerissen, Schubladen waren herausgezogen und auf den Boden geleert worden. Die Speisekammertür
Weitere Kostenlose Bücher