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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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täuschend, trügerisch vielversprechend. Hohe weiße Wolken, aufeinandergetürmt und ineinander verschachtelt, ragten wie ein Gebirgsmassiv hinter der riesigen Kathedrale auf. Das Sonnenlicht ließ die Fratzen der Wasserspeier an der Fassade der Kirche plastisch hervortreten; es sah aus, als würden sie auf den Rest der Welt hinuntergrinsen.
    Wir aßen zum Frühstück Omelettes mit viel Butter und Kräutern und Käse. Der café au lait war heiß und süß, und ich lehnte mich zurück, um das friedliche Bild in mich aufzunehmen, während Father Dunn – unsichtbar hinter den aufgeblätterten Seiten der Herald Tribune, die er erhoben vor sich hielt – sich durch gelegentliche Grunzer bemerkbar machte. Ich war dankbar für die Ruhe, für die Atempause des Augenblicks. Ich konnte es noch immer nicht so recht glauben, daß ich erst am gestrigen Morgen, vor vierundzwanzig Stunden, schockiert und wie gelähmt auf den gekreuzigten, blutüberströmten Leichnam Bruder Leos gestarrt hatte, auf dessen einen Arm, der in der Brandung hin und her schwang und mich zu sich zu winken schien, und daß ich dann von Panik erfüllt geflüchtet und um mein Leben gelaufen war, mit einem Schreckgespenst auf den Fersen – mochte es nun wirklich oder unwirklich gewesen sein. Bei diesem Gedanken, der in der vergangenen Nacht immer wieder an die Oberfläche meines Bewußtseins gestiegen war wie ein Scheusal, das sich aus stinkendem Schlamm erhebt, schien mein Herz wieder zu einem Klumpen Eis zu gefrieren.
    Schließlich, als der Morgen schon fortgeschritten und der Wind, der von der Seine herüberwehte, kälter und schneidender geworden war, ließ Father Dunn die Zeitung sinken und faltete sie ordentlich zusammen. Er schniefte. »Ich habe mir eine schlimme Erkältung und einen rauhen Hals geholt. Haben Sie gut geschlafen?«
    »Besser als gestern nacht. Aber wenn ich ohne Lungenentzündung davonkomme, ist es ein Wunder.«
    »Hier, lutschen Sie eine davon.« Er reichte mir eine Dose Hustenpastillen. Ich schob mir eine in den Mund. Es war nicht gerade die ideale Beilage zum café au lait.
    »Also, wer ist Erich Kessler?«
    Dunn betrachtete mich über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg, schwieg.
    »Warum ist er so wichtig?« fragte ich.
    »Tja, Erich Kessler … Er war immer schon ein Mann, der im Verborgenen lebte. Er kannte viele Geheimnisse, er behielt diese Geheimnisse, er war selbst ein Geheimnis. Er war das Wunderkind des deutschen Nachrichtendienstes im Zweiten Weltkrieg.«
    Eine solche Auskunft hatte ich nicht erwartet – aber was hatte ich überhaupt erwartet? Wie paßte dieser Mann in unsere Geschichte? »Ein Nazi?«
    »Oh, ich habe keine Ahnung. Er war nur sich selbst gegenüber loyal. An erster Stelle, an letzter Stelle, immer. Aber er war der klügste Kopf in der geheimnisumwitterten Organisation Gehlen. Kessler war der persönliche Protegé General Reinhard Gehlens, des Geheimdienstchefs.« Er blickte mich an, ließ die Information in mich einsickern. »Gehlen hat für Hitler gearbeitet, für den OSS, die CIA und den Bundesnachrichtendienst der BRD, in dieser Reihenfolge. Ein sehr cleverer, gewundener, opportunistischer Bursche – und Kessler hat bei Gehlen seine Lektionen gut gelernt.« Dunn winkte dem Kellner, uns noch Kaffee zu bringen; dann wärmte er die Hände an der Tasse.
    »Was ist mit ihm geschehen?«
    »Nun, er hat überlebt, soviel steht schon mal fest. Wie Gehlen hatte Kessler frühzeitig erkannt, auf welche Weise der Krieg enden mußte. Er hat es sozusagen schwarz auf weiß gesehen, in den Akten und Unterlagen über die Leistungsfähigkeit der feindlichen Rüstungsindustrie und den Schätzungen der Truppenstärke, der Kapazität der Treibstoffproduktionsanlagen und so weiter – er dürfte schon von Anfang an gewußt haben, daß der Krieg nicht zu gewinnen war, spätestens ab 1942, nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor. Er wußte, daß die Kriegsmaschinerie der Staaten nun ins Rollen kam. Und er wußte auch, daß der Krieg jetzt nichts anderes mehr war als ein Egotrip Hitlers … ein Denkmal der Psychopathologie. Nun, Erich war sich einer Sache sicher: Hitlers Götterdämmerung, sein Abgang von der Weltbühne, würde auch ihn, Kessler, in den Strudel des Abgrunds reißen. Darum traf er schon frühzeitig Vorkehrungen, um seine Zukunft zu sichern. Sein ganzes Wissen und Können als Geheimdienstmann war nur auf ein Ziel gerichtet: die bevorstehende Apokalypse zu überleben …«
    Mit äußerster Vorsicht und

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