Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
Fiebergeschrei seines Vaters, betete im Stillen vielleicht für ihn, und Altaïr beobachtete ihn ein paar Herzschläge lang und empfand seine stille Wacht als bewundernswert. Dann ließ er den beiseitegeschobenen Vorhang wieder fallen, legte sich ins Bett und hielt sich mit den Händen die Ohren zu, damit er nicht mehr mit anhören musste, wie Ahmad den Namen seines Vaters rief. Er versuchte den Geruch seines Vaters einzuatmen und stellte fest, dass er allmählich verflog.
Es hieß, dass Ahmads Fieber am nächsten Tag sank und er in seine Unterkunft zurückkehrte, wenn auch als gebrochener Mann. Altaïr hörte, dass er zwei Tage lang nur im Bett lag und Abbas sich um ihn kümmerte.
In der folgenden Nacht wurde Altaïr durch ein Geräusch in seiner Kammer geweckt. Er lag blinzelnd im Bett und hörte, wie sich jemand durch den Raum bewegte, leise Schritte, die sich dem Schreibtisch näherten. Eine Kerze wurde abgestellt, deren Flamme tanzende Schatten auf die steinernen Wände warf. Altaïr war noch im Halbschlaf und dachte, es müsse sein Vater sein. Sein Vater war zu ihm zurückgekommen. Er setzte sich auf, lächelte, wollte seinen Vater willkommen heißen, glaubte, endlich aus einem schrecklichen Traum erwacht zu sein, in dem sein Vater gestorben war und ihn alleingelassen hatte.
Aber der Mann im Zimmer war nicht sein Vater. Es war Ahmad.
Ahmad stand an der Tür. Er wirkte ausgemergelt in seinem weißen Gewand, sein Gesicht war eine knochenbleiche Maske. Seine Miene wirkte abwesend, fast friedlich, und er lächelte ein wenig, wie um den Jungen nicht zu ängstigen, als dieser sich aufsetzte. Seine Augen jedoch waren dunkle, tiefe Höhlen, als habe der Schmerz alles Leben aus ihm herausgebrannt. Und in seiner Hand hielt er einen Dolch.
„Es tut mir leid“, sagte er, und das waren nicht nur seine einzigen, sondern auch seine letzten Worte, denn als Nächstes zog er sich die Klinge über die Kehle, und in seinem Hals klaffte eine Wunde auf wie ein blutroter Mund.
Blut lief über seine Kleidung, in der Wunde bildeten sich schaumige rote Bläschen. Der Dolch fiel zu Boden, und Ahmad lächelte immer noch, als er auf die Knie niederging, den Blick auf Altaïr geheftet, der starr vor Angst in seinem Bett saß und die Augen nicht abwenden konnte von Ahmad, aus dem das Blut herausströmte. Der Sterbende kippte schwankend nach hinten, dabei drehte sich sein Kopf zur Seite, und er löste seinen schaurigen Blick endlich von Altaïr, aber die Tür verhinderte, dass er ganz umfiel. Ein paar Herzschläge lang blieb er in dieser Haltung, wie ein bußfertig am Boden kniender Mann. Bis er schließlich vornüberfiel.
Altaïr wusste nicht, wie lange er im Bett saß und leise weinend dem Geräusch lauschte, mit dem sich Ahmads Blut auf dem Steinfußboden ausbreitete. Irgendwann brachte er den Mut auf, aus dem Bett zu steigen, die Kerze zu nehmen und vorsichtig um das blutige Schreckensbild herumzugehen, das sich ihm auf dem Boden präsentierte. Er zog die Tür auf und wimmerte, als sie Ahmads Fuß berührte. Als er dann endlich draußen war, rannte er los. Dabei ging die Kerze aus, aber das war ihm egal. Er rannte, bis er bei Al Mualim ankam.
„Das darfst du nie jemandem erzählen“, hatte Al Mualim am nächsten Tag gesagt. Altaïr hatte einen warmen Gewürztee bekommen und den Rest der Nacht im Gemach des Meisters verbracht, wo er fest geschlafen hatte. Der Meister selbst war anderswo gewesen; weshalb, darüber konnte Altaïr freilich nur Vermutungen anstellen. So hatte es sich jedenfalls anderntags herausgestellt, als Al Mualim zu Altaïr kam und sich an dessen Bett gesetzt hatte.
„Wir werden dem Orden gegenüber erklären, dass Ahmad im Schutze der Dunkelheit fortgegangen ist“, sagte er. „Mögen sie ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Wir können nicht zulassen, dass Abbas mit der Schande des Selbstmords seines Vaters befleckt wird. Was Ahmad getan hat, ist unehrenhaft. Und seine Ehrlosigkeit würde auf seine Familie übergehen.“
„Aber was ist mit Abbas, Meister?“, fragte Altaïr. „Wird er die Wahrheit erfahren?“
„Nein, mein Kind.“
„Aber er sollte wenigstens wissen, dass sein Vater … “
„ Nein , mein Kind“, wiederholte Al Mualim in strengerem Ton. „Das wird Abbas von niemandem erfahren, auch von dir nicht. Morgen werde ich verkünden, dass ihr beide als Novizen in den Orden aufgenommen werdet und dass ihr in jeder Hinsicht, abgesehen von eurem Blut, Brüder seid. Ihr werdet euch
Weitere Kostenlose Bücher