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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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vergangen zu sein, und sie hatte Mühe, sich die Routine wieder zu vergegenwärtigen. Sie hielt die Gassprühdose auf Armeslänge vor sich und machte zwei Schritte in die Diele hinein. Wartete. Machte noch zwei Schritte. Dann schob sie den Kopf durch die Wohnzimmertür, sah sich schnell um und fuhr zurück. Da war nichts, nur eine Menge Tische und Stühle, die umeinander herumstanden, als führten sie ein stilles Gespräch in Abwesenheit der Eigentümer. Dann das Musikzimmer – ebenfalls leer.
    Sie schloss die Türen – so viel hatte sie von ihrer Ausbildung noch in Erinnerung: Geklärte Räume sofort schließen – und ging weiter durch die Diele, schaute in die Zimmer, schaltete Licht ein, schloss die Türen, und als sie im hinteren Teil des Hauses angekommen war, strahlte das Erdgeschoss in hellem Licht. Sie hob das Telefon an den Mund. »Bisher nichts«, murmelte sie. »Ich gehe jetzt die Treppe hinauf. Fang wieder von vorn an zu zählen.«
    Die Treppe knarrte, obwohl sie die Füße am Rand der Stufen aufsetzte, wo sie nicht nachgeben konnten. Das Haus war alt, es hatte Macken und Beulen und die Narben eines ganzen Lebens. Auf dem Treppenabsatz schwang eine chinesische Papierlaterne unter der Decke langsam hin und her in dem Luftzug, den Zoë mitbrachte. Hier waren sechs Türen. Sie arbeitete sie der Reihe nach ab, drückte sie mit der Fußspitze auf, wenn sie fast geschlossen waren, und hielt das Reizgas hoch, wenn sie aufschwangen. Jedes Mal ließ sie das Licht brennen und schloss die Tür. Erst im letzten Zimmer – es gehörte Nial – fand sie einen Hinweis auf Millie. Auf dem Bett lagen ein Paar Mädchen-Laufschuhe und ein Pullover mit Millies Namen eingestickt auf dem inneren Etikett. Zoë hob ihn auf und ging wieder nach unten.
    Die Küche war eine Middleclass-Küche, wie man sie in Bath oft sah, mit Schränken, die in einem stumpfen Bleigrün gestrichen waren, und Gartenblumen in schlichten Milchglasvasen auf jedem Fensterbrett. Eine Flügeltür führte hinaus in den Garten, der durch die spiegelnden Fensterscheiben nicht zu sehen war. Auf der Arbeitsinsel aus gebleichter Eiche in der Mitte der Küche standen zwei Schulrucksäcke mit dem Namen »Kingsmead«. In einer offenen Dose mit der Aufschrift »Kekse« lag ein einsames Plätzchen, und in der Spüle standen zwei Kaffeetassen. Darüber tropfte der Wasserhahn und untermalte die Stille mit seinem regelmäßigen plink-plink .
    »Du kannst jetzt hereinkommen«, sagte sie ins Telefon. »Hier ist niemand.«
    Sie ging zum Tisch, auf dem zwei offene Dosen Stella Artois standen. Sie hob eine hoch und schüttelte sie. Bier schwappte gluckernd darin. Die Dosen waren eben erst hingestellt worden. Genau wie das Essen auf dem legendären Geisterschiff, der Marie Celeste . Sie sah eine kleine Tür neben dem Kühlschrank und öffnete sie mit dem Fuß: ein Hauswirtschaftsraum mit Spülbecken, einer Waschmaschine und dem üblichen Durcheinander – Wischmopps und Eimer in der Ecke, eine Gartenschere an einem Wandhaken. Die Tür, die hinten hinausführte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie stand offen.
    Zoë ging hin und stieß sie ganz auf. Eine Stufe führte hinunter auf eine Terrasse. Die weite schwarze Fläche dahinter musste ein Rasen sein. Er war umgeben von Bäumen, deren mächtige, tintenschwarze Wipfel den Himmel verdeckten. Ihre Äste bewegten sich fast unmerklich vor den blauen Wolken. Einen Moment lang blieb sie in der Tür stehen und lauschte in die Nacht hinaus. Sie hörte nur das leise Rascheln der Bäume und das Tröpfeln des Wasserhahns hinter ihr.
    Von hier aus war es nicht weit bis zu Pollock’s Farm. Eigentlich musste der Garten daran angrenzen. Sie war oft genug dorthingerufen worden, um es zu wissen. Beim letzten Mal hatte dicker Herbstnebel über dem Land gelegen; an dem Tag war der Leichnam des alten Pollock herausgeholt worden, und die Männer hatten Schutzanzüge getragen, weil er schon so stark verwest war. Sie hatte sich geschworen, nie wieder zu diesem gottverlassenen Ort zurückzukehren. Man hielt sich dort zu keiner Zeit gern auf, aber an einem Abend wie heute schon gar nicht.
    Sie ging zurück in die Küche und stieß mit dem Fuß an einen Gegenstand. Es war ein Handy, sah sie. Sie bückte sich und hob es auf. Ein schwarzes Nokia. Sie drückte auf die Einschalttaste. Nichts geschah. Der Akku war leer. Sie drehte es um und sah, dass das Gehäuse zerbrochen war.
    »Zoë?«
    Sie schrak zusammen. Sally stand mit bleichem Gesicht in der

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