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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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ziehen, bevor die Untersuchung abgeschlossen war. Aber Aufgabe der Polizisten war es nun mal, hartnäckig zu bleiben, und deshalb schoss Ben oder Zoë von Zeit zu Zeit eine Frage ab, die der Arzt nur mit einem missbilligenden Zungenschnalzen und ein paar ätzenden, vor sich hin gemurmelten Bemerkungen beantwortete. Die Ungeduld der Polizei sei grässlich und absolut unwissenschaftlich, schimpfte er. Warum die Leute denn nicht auf einen ordentlichen Bericht warten könnten, statt seine Worte aus dem Zusammenhang zu reißen und der Verteidigung auf dem Silbertablett zu präsentieren, damit die daraus ein Plädoyer zusammenschustern konnte. Im Laufe des Nachmittags fing er jedoch an, widerwillig mit kleinen Details herauszurücken. Vagina und Anus des Mädchens hatten Risse, bemerkte er, sie hatten allerdings nicht geblutet. Ein Indiz dafür, dass die Vergewaltigung kurz vor oder nach dem Exitus stattgefunden habe. Er nahm einen Abstrich, aber auf den ersten Blick war kein Sperma zu erkennen; also war vielleicht ein Kondom verwendet worden. Oder sie war mit einem Gegenstand vergewaltigt worden. Eine Verletzung am Hinterkopf war vermutlich das Resultat eines Sturzes. Der Arzt nahm an, dass sie von vorn angegriffen worden war, was zu den Verletzungen im Gesicht passen würde. Und sie hatte einen Schlag in den Magen erhalten – vielleicht einen Fußtritt –, der zu inneren Blutungen geführt hatte.
    »Ist sie daran gestorben?«
    Er schüttelte den Kopf und untersuchte nachdenklich die Innenseite der Bauchdecke. »Nein«, sagte er nach einer Weile. »Irgendwann hätte es sie umgebracht. Aber …« Er schob den Finger in einen dicken Blutklumpen, der sich an der Milz gesammelt hatte. »Das ist nicht so viel Blut, wie man bei einem Riss der Milzarterie erwarten würde. Sie dürfte kurz nach dieser Verletzung gestorben sein.«
    »Woran?«
    Er hob das Kinn und starrte Ben an. Dann zeigte er mit ausdrucksloser Miene auf das silberfarbene Klebeband und den Tennisball, der inzwischen entfernt worden war und in einem Beutel auf dem Asservatentisch lag. »Offiziell sage ich noch gar nichts, und ich muss mir auch erst noch das Gehirn ansehen. Aber wenn Ihre Nase so aussähe und wenn Sie einen Tennisball im Mund hätten – wie würden Sie dann atmen?«
    »Sie ist erstickt ?«, fragte Zoë.
    »Ich nehme an, so wird es in meinem Bericht stehen.« Er knipste seine Lampe aus und drehte sich zu ihnen um. »Und? Wollen Sie wissen, wie es passiert ist? Er hat sie so geschlagen – hier, quer über dem Jochbogen.« Der Mediziner hob die Hand und tat in Zeitlupenbewegung, als schlage er sich mit der Faust ins Gesicht. »Nur einmal. Das Wangenbein ist gebrochen, die Nase ist gebrochen – sie fällt rückwärts. Als sie wahrscheinlich völlig benommen auf dem Boden liegt, schiebt er ihr gewaltsam den Tennisball in den Mund und klebt das Klebeband darüber. Das Blut in der Nase fängt schon an zu gerinnen, und ehe man sichs versieht, sind beide Atemwege blockiert.« Mit der Außenseite des Handgelenks schob er seine Brille auf der Nase hoch. »Ziemlich scheußlich.«
    »Könnte es auch ein Unfall gewesen sein?«, fragte Ben.
    Der Arzt runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
    »Es ist wichtig. Der Kerl könnte sagen, er habe sie nicht umbringen wollen. Er habe sie nur zum Schweigen bringen wollen. Ich stelle mir die Strategie der Verteidigung vor und komme auf Totschlag, weiter nichts.«
    »Er hätte den Klebstreifen abreißen können. Selbst wenn sie bewusstlos war, hätte der Atemreflex automatisch eingesetzt, wenn er den Klebstreifen abgerissen und sie geschüttelt hätte. Er hätte sie retten können.«
    Zoë stand schweigend da und schaute auf Lorne hinunter. Jetzt, nachdem der Klebstreifen entfernt worden war, hing der Unterkiefer in einem schlaffen Grinsen herunter. Ihre Zunge klemmte als angeschwollener, grauer Knorpel zwischen dem weißen Zahnschmelz. Vorhin, als sie am Kanal entlanggegangen waren, war Zoë gespannt gewesen, motiviert und voller Energie. Damit war es vorbei. Sie blickte auf, sah, dass Ben sie beobachtete, und wandte sich hastig ab. Sie wühlte ihr Telefon aus der Tasche und tat, als sei da etwas Wichtiges zu sehen. Niemand sollte denken, sie würde vielleicht nicht durchhalten. Schon gar nicht Ben.
    Peppercorn Cottage war so weit weg vom Schuß. So völlig abgeschieden. Das war eins der Dinge, die Sally so gut gefielen. Keine Nachbarn, die herübergafften, niemand, der sie anstarrte und über sie urteilte,

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