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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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dem Ball vorbeizuatmen. Sie zwang sich dazu, sich vorzustellen, der Ball sei mit Klebstreifen in ihrem Mund befestigt. Sie fing an zu zittern, unter ihren Achseln brach der Schweiß aus, und auf ihrer Netzhaut zerplatzten kleine schwarze und weiße Sterne. Als sie dachte, die Haut an ihren Mundwinkeln werde reißen, wie sie es bei Lorne getan hatte, riss sie sich den Ball aus dem Mund und ließ ihn über den Boden kullern, wo er dicke Speichelfäden hinter sich herzog.
    Zitternd sank sie auf das Sofa und schnappte nach Luft, während der Ball immer weiter über den Boden rollte, bis er gegen den Vorhang stieß und bebend zum Stehen kam.

11
    »Hey, da bist du ja.« Steve stand nackt in der Küchentür. Er rieb sich die Augen und streckte die Arme über den Kopf. »Gott, hab ich gut geschlafen. Ich find’s toll hier.«
    »Setz dich.« Sally nahm ein Gummiband aus einer Schublade, wickelte es um den Kartenstapel, auf dem Millies Karte zuoberst lag, und legte den Stapel hinten in eine der Schubladen. Dann sah sie nach der Milch auf dem Herd. »Ich muss los. Muss um neun bei der Arbeit sein.«
    »Keine Zeit zum Knutschen?«
    »Ich muss zur Arbeit.«
    Er lächelte und streckte sich noch ein bisschen. Seine Hände berührten die niedrige Decke, und er stemmte sich dagegen und drückte sich nach unten, beugte die Knie, dehnte seinen Körper und vertrieb den Schlaf knackend aus seinen Muskeln. Er war in jeder Hinsicht anders als Julian, der blass und unbehaart gewesen war, mit weichen Armen und weiblichen Hüften. Steve war groß und dunkelhaarig und hatte einen kräftigen, sonnengebräunten Nacken. Seine Beine waren hart und haarig wie die eines Zentauren. Als er sich gestreckt hatte, hatte es ausgesehen, als sei eine von Leonardo da Vincis anatomischen Studien zum Leben erwacht.
    Sally stand am Herd, schäumte die Milch auf und warf ihm verstohlene Blicke zu, als er gähnend herumspazierte und in den Kühlschrank schaute. Seit vier Monaten waren sie zusammen, und sie konnte immer noch nicht richtig glauben, dass er hier war. Mit Steve hatte sie immer nur Sex im Kopf: Wenn sie zwischen zwei Putzjobs auch nur eine halbe Stunde Zeit hatte, flitzte sie zu ihm nach Hause, und sie landeten nackt auf dem Boden in der Küche. Oder auf der Treppe, auf halbem Weg zum Schlafzimmer. Es war völlig anders als mit Julian. Vielleicht hatte sie ja ihre Midlife-Crisis. Mit fünfunddreißig.
    Steve arbeitete in der »Industriespionage«. Sally wusste nicht genau, was das heißen sollte, aber er hatte anscheinend ständig mit Leuten zu tun, die an fernen, glanzvollen Orten lebten. Sein Adressbuch, das sie einmal bei ihm zu Hause offen hatte herumliegen sehen, war voll von Adressen in den Emiraten, in Liberia und Südafrika, und mehr als einmal hatte er seinen Wecker stellen müssen, um mitten in der Nacht aufzustehen und ein Konferenzgespräch mit jemandem in Peru oder Bolivien zu führen. Wenn er das Haus verließ, trug er einen Anzug, aber in ihrer Fantasie waren es ein schwarzes Polohemd und Jeans, und in seinen Schuhsohlen steckten verborgene Messer. Sie hatte keine Ahnung, warum er mit einer so dummen Frau wie ihr zusammen sein wollte. Er brauchte sie nur anzusehen, schon kippte sie rückwärts aufs Bett, machte die Beine breit und lächelte dankbar.
    »Und?« Er verschränkte die Finger und ließ die Knöchel knacken. Rollte den Kopf herum. »Wo arbeitest du heute?«
    »Im Norden.«
    »Nicht wieder bei Goldrab?«
    »Nein. Nicht heute.« Sie löffelte den Milchschaum in zwei Tassen Kaffee, ließ ein bisschen Kakaopulver aus einem chromfarbenen Mehlstreuer daraufrieseln und stellte ihm die eine Tasse hin. Dann ging sie zum Backofen und legte die Croissants auf einen Teller. »Gestern hat er mir einen anderen Job angeboten. Ich soll weiter putzen, aber außerdem die Verwaltung für sein Haus übernehmen.«
    »Nimmst du an?«
    »Es ist eine Menge Geld.«
    Steve rührte in seinem Kaffee und dachte darüber nach. »Hör mal«, sagte er nach einer Weile, »ich hab nie was gesagt, aber Tatsache ist, dass ich mir irgendwie Sorgen um dich mache, wenn du da bist.«
    »Sorgen? Weshalb?«
    »Sagen wir mal so: Ich weiß eine Menge über ihn. Eine Menge Sachen, die ich lieber nicht wüsste.«
    Sie schlug die Backofentür zu, richtete sich auf und drehte sich zu ihm um. »Wie kommt das?« Sie strich sich das Haar aus der Stirn.
    Er lachte. »Wie lange wohnst du schon in Bath? Kennst du ›Small World‹ in Disneyland? Da steigt man in ein kleines

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