Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
auch deine Englisch-Hausaufgaben mit. Vier Stunden sind eine Menge Zeit zum Totschlagen.«
Es war wieder ein schöner Tag; die Sonne stand schon hoch am Himmel, aber auf der Fahrt nach Lightpil House machte Sally sich die ganze Zeit Sorgen. Sie dachte immer wieder an das, was Steve gesagt hatte – an die Mädchen im Kosovo, die noch keine Frauen gewesen waren. Dann überkam sie die gegensätzliche Befürchtung: David würde Millie vielleicht nicht dahaben wollen, sie würde schnurstracks zum Wagen zurückgehen und wegfahren müssen, und dann würde sie die vierhundertachtzig zusätzlichen Pfund pro Monat nicht bekommen, die sie bei ihren Berechnungen einkalkuliert hatte.
Als sie auf dem Parkplatz anhielten, drehte Millie das Fenster herunter und lehnte sich hinaus. Sie blinzelte in der Sonne und spähte zu Lightpil House hinauf, als sei sie am Drehort zu einem Film gelandet. David Goldrab musste auf sie gewartet haben, denn als Sally den Motor abgestellt hatte, sah sie ihn auch schon den langen Weg zu ihnen herunterkommen. Er trug seinen Frottee-Bademnatel und FitFlops und hielt ein Glas grünen Tee in der Hand. Am Handgelenk trug er einen digitalen Pulszähler, als komme er soeben von einer der Tretmühlen in seinem Fitnessraum im ersten Stock. Sally zog die Handbremse an und beobachtete ihn. Was würde er tun, wenn er Millie sähe? Und richtig – als er sie auf dem Beifahrersitz sah, runzelte er die Stirn. »Wer ist das?«
»Millie«, sagte sie und machte sich auf eine Diskussion gefasst. »Meine Tochter. Sie wird nicht stören.«
David beugte sich am Fahrerfenster herunter, stützte eine Hand auf den Oberschenkel und musterte Millie lange. »Du bleibst hier bei uns, ja?«
»Sie bleibt im Wagen sitzen. Sie wird uns nicht stören.«
»Magst du Fasane, Prinzesschen? Ja?«
Millie sah ihre Mutter an.
»Es ist schon gut«, sagte David. »Das ist keine Fangfrage. Man muss lernen, auf Fragen ehrlich zu antworten. Wer dir eine Fangfrage stellt, entlarvt sich damit nur selbst. Also – magst du kleine Fasane oder nicht?«
»Sie bleibt im Wagen sitzen.«
»Sally, bitte. Sie ist keine Zweijährige. Sie muss sich irgendwie beschäftigen. Ihr passiert schon nichts. Ist besser, als sie hier einzupferchen, in diesem …« Er brach ab und betrachtete den kleinen Ka, und er suchte nach Worten, um seine Kümmerlichkeit zu beschreiben. »Ja. Jedenfalls läufst du besser in der Sonne herum, Prinzessin. Und jetzt beantworte meine Frage. Magst du Fasane?«
»Ja.«
»Gut. Dann zeige ich dir, wo du hingehen musst, um dir welche anzusehen.«
»Verlass das Grundstück nicht«, sagte Sally. »Und nimm dein Telefon mit.«
Millie verdrehte die Augen. »Ich hab’s ja gehört«, fauchte sie. »Okay?«
Sally atmete ein paar Mal tief durch. Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt und stieg aus. Millie kletterte vom Beifahrersitz, strich sich die Bluse mit den flachen Händen glatt und sah sich um, sichtlich beeindruckt von allem, was sie sah, und erstaunt darüber, dass ihre Mutter – ganz gleich, in welchem Kontext – irgendwie ein Teil davon sein konnte.
»Siehst du den Weg, der da unten an der Seite des Hauses vorbeiführt?« David kam vorn um den Wagen herum und deutete zum Rand des Grundstücks. »Wenn du den entlanggehst, kommst du zu einem Tor. Da gibt’s ein Zahlenschloss. Der Code ist 1983. Mein Geburtsjahr.« Er lachte. Weder Sally noch Millie lachte mit. »Da gehst du durch, und dann ist da ein Schuppen. Voll mit den kleinen Biestern. Wenn du fertig bist, kommst du zurück und setzt dich auf die Terrasse. Mum macht dir eine Limonade. Nicht wahr, Sally?«
Millie sah ihre Mutter an. Sally zögerte. Ihr war flau. Aber mit einer ruckartigen Kopfbewegung forderte sie Millie auf zu gehen. Na los doch. »Handy«, formte sie mit den Lippen. »Lass dein Handy eingeschaltet.«
Millie warf David noch einmal einen verunsicherten Blick zu und ging dann los, den Weg hinunter. Er verschränkte die Arme und sah ihr nach. Sie war sehr dünn in ihrer Jeans, die an den Beinen weit, aber auf den Hüften eng war, und ihr Haar wippte glänzend im Sonnenlicht. Sally sah, wie David ihre Tochter beäugte. Sie schlug die Wagentür zu, lauter als nötig, und er drehte sich mit trägem Lächeln zu ihr um.
»Was? Oh, Sally, ich bin enttäuscht. Sie glauben, ich habe ein Auge auf sie, ja? Wofür halten Sie mich?« Er schaute wieder zu Millie hinüber, die jetzt zwischen den Rabatten verschwand. »Halten Sie mich denn für einen Perversen? Ein
Weitere Kostenlose Bücher