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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Mann in meinem Alter? Und ein Mädchen in ihrem Alter? Sie ist viel, viel zu alt für mich.«
    Sally erstarrte, und er brüllte vor Lachen und stupste gegen ihren Arm. »Das war ein Scherz , Mädel. War nur ein kleinääär Schääärz. Na los, verdammt – lächeln Sie mal, können Sie das? Herrgott.« Er seufzte. »Mussten Sie den Stock im Arsch extra bezahlen, oder gab’s den in der Klosterschule gratis dazu?«
    Sally schluckte. Sie hatte einen trockenen Mund. Aber sie ließ sich nichts anmerken, sondern ging zum Kofferraum und holte ihre Putzsachen heraus.
    »Ich nehm Sie nur auf die Schippe, Mädel.«
    Sie hob den schwarzen Aktenkoffer heraus, in dem sie ihre Notizbücher und Stifte hatte, und ohne zu warten, ging sie den Weg hinauf. David folgte ihr hustend und prustend und murmelte dabei finster etwas von Leuten ohne jeden Sinn für Humor. Im Haus roch es überall nach Brot. Offenbar hatte er gebacken, mit der automatischen Brotbackmaschine im Wert vom dreihundert Pfund, die neben der Kaffeemaschine in der Küche stand. Sally sog die Luft tief in die Lunge, um sich zu beruhigen. Der Geruch von Essen vertrieb zuverlässig ihre Nervosität.
    »Wissen Sie was, Sally?«, fragte David, als sie ins Büro kamen. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich habe das Gefühl, Sally Benedict hat keine besonders hohe Meinung von David Goldrab. Denn das ist der Lauf der Welt, oder? Sie sind wahrscheinlich in einem Haus mit Türmchen und Pferdeställen aufgewachsen. Aber ich? Na, Türme und Zugbrücken gab es in meiner Vergangenheit auch – ein Hochhaus mit einer scheißdicken eisernen Sicherheitstür, die verhindern sollte, dass die Junkies von der Isle of Dogs hereinkamen und in den Aufzug kackten. Der so oder so nie funktionierte, ob er als Klo benutzt wurde oder nicht. Eine Wohnung im siebzehnten Stock, ohne warmes Wasser, ohne Heizung.«
    Er setzte sich in seinen Drehsessel, schnallte den Pulsmonitor ab, stöpselte ihn hinten in einen weißen Sony-Laptop und überspielte die Daten seines täglichen Fitness-Trainings. Dann stieß er sich mit den Fersen ab, rollte quer durch das Zimmer zu einem größeren Desktop-Computer und schaltete ihn ein.
    »1957 – da bin ich in Wirklichkeit geboren, nicht 1983, falls Sie darauf reingefallen sind. Der Jüngste von drei Jungs – und damals hieß es: zwei in einem Bett, Matratze auf dem Boden, und du konntest von Glück sagen, wenn du einen popeligen kleinen Quadratzoll von der abblätternden Wand erobern konntest, um deine Poster da anzukleben. Und dauernd packte dir einer an den Schwanz – schlafen musstest du so.« Er griff sich mit beiden Händen in den Schritt und krümmte sich vornüber, als habe er einen Cricketball in die Weichteile bekommen. »Mein ältester Bruder war mit dreizehn ein Säufer. Mum hat das nie gemerkt; sie war viel zu sehr mit sich selbst und ihrem eigenen Jammer beschäftigt. Er kam besoffen nach Hause, fiel auf uns drauf und pennte ein. Ich kann ihn heute noch riechen. Elender Wichser. Einmal wachte ich morgens auf, und das Bett war nass. Er hatte in das Scheiß-Bett gepisst. Ich setzte mich auf und sah ihn daliegen, voll mit Kotze und Blut und seiner eigenen Pisse, aber er atmete noch, er schnarchte noch, und in dem Moment wusste ich eins ganz sicher: Auch wenn es mich jedes Gramm meiner Energie kostet, jeden Tropfen meines Schweißes, und wenn ich Scheiße fressen und dafür töten muss, ich werde da rauskommen und mir meinen eigenen Platz in der Welt erobern. Meinen Lebensraum .«
    Mit gespreizten Händen zeigte er auf das Gelände draußen vor dem Fenster, wo das wellige Hügelland in die Ferne reichte. Kaum etwas außer ein paar weit entfernten Telefonmasten deutete darauf hin, dass es noch andere Menschen auf dem Planeten gab. Bäume rings um das Tor, durch das Millie gegangen war, warfen riesige Schatten auf das Gras darunter. Millie war nirgends zu sehen.
    »Lebensraum«, wiederholte er. »Wie Hitler ihn wollte. Manchmal, wissen Sie, muss man sich schon fragen, ob da nicht was dran war bei Hitler. Da sitze ich hier, mit jüdischem Namen und jeder Menge jüdischem Blut in den Adern – auch wenn es nicht so rein ist, wie mein Vater, der Arsch, es gern gehabt hätte –, und frage mich, ob da nicht vielleicht was dran war bei Hitler! Ihr meine jüdischen Vorfahren – der Herr lasse euch ruhen in Frieden –, haltet euch ruhig die Ohren zu, aber Hitler war immerhin Vegetarier. Und er liebte Tiere. Und vor allem liebte er es, Freiraum zu haben.

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