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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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du stolz sein.«
    Er nickte und putzte sich die Nase. Sie war verstopft, und er atmete schwer.
    »Aber ich muss das alles in meinem Kopf sortieren, Ralph. Ich habe dich gefragt, was bei Beckford’s Tower passiert ist, und das hat dich anscheinend aus der Fassung gebracht.«
    Er nickte kläglich. »Wir haben uns gestritten. Sie wollte allen von uns erzählen, und ich …« Er musste tief durchatmen, um sich zu beruhigen. »Wir haben Schluss gemacht. Wir haben Schluss gemacht, und sie hat gesagt, sie will mich nie wiedersehen, und … Und … Und danach ist es passiert. Es ist nur meine Schuld, verdammt. Bloß weil ich Angst vor meinen Scheiß-Eltern habe.«
    »Es ist nicht deine Schuld, Ralph. Es ist wirklich nicht deine Schuld.«
    »Wie geht’s jetzt weiter? Komme ich vor Gericht? Werden meine Eltern alles erfahren? Mein Vater wird toben. Er findet, Lügen sollte als Todsünde gelten.«
    Sie legte ihm den Arm um die Schultern. Er war wirklich noch ein kleiner Junge. Sie sah das blasse Weiß der Kopfhaut in seinem ordentlich gescheitelten Haar. »Ich glaube, Ralph, die meisten Eltern würden sich mehr dafür interessieren, dass es dir gut geht. Und dass du den Mut hattest, die Wahrheit zu sagen.«
    »Mann.« Er hatte das Papiertaschentuch aufgebraucht und wischte sich die Nase an seiner Hemdschulter ab. »Ich wünschte, Sie wären meine Mutter.«
    »O nein. Nein. Ich wäre eine grässliche Mutter. Das kannst du mir glauben. Herzukommen war eine Riesenentscheidung für dich, aber es war richtig. Diese Information ist wirklich ungeheuer wichtig. Wir können damit ein Bild von dem entwickeln, was Lorne zugestoßen ist. Aber ich kann nicht viel damit anfangen, wenn ich es nicht meinen Kollegen mitteilen darf. Wenn ich dir garantiere, dass deine Eltern es erst erfahren, wenn du möchtest, dass sie es hören, würdest du dann mitkommen und es dem Rest meines Teams erzählen? Denen, die damit etwas ändern können? Du könntest verhindern, dass es noch einmal passiert. Einer anderen.«
    Es war still. Sie brauchte einen Moment, um zu sehen, dass er nickte.

31
    Das Polizei- und Beweismittelgesetz von 1984 hatte bestimmt, dass die Befragung Verdächtiger stets in einem speziell dafür eingerichteten Raum stattfinden müsse: gut beleuchtet, gut belüftet, schalldicht, mit eingebauter Aufzeichnungstechnik und Zugang zu einem neutralen »Ausweichraum« für den Fall, dass der oder die Befragte zu dem Schluss kommen sollte, mit dem Verlauf der Befragung nicht ganz glücklich zu sein. Die Kommunen überall im Land mussten tief in ihre Kasse greifen, um solche Räume zu schaffen – und auf dem Polizeirevier in Bath gab es zwei davon.
    Zoë saß an ihrem Schreibtisch bei offener Tür, damit sie den Gang im Auge behalten konnte. Vor ihrem Büro zweigte der Korridor zu den Vernehmungsräumen ab. Wenn Ralph aus dem Büro neben der Einsatzzentrale, in dem Ben mit ihm sprach, dorthin gebracht werden sollte, würde das bedeuten, dass sie gegen alle ihre Bitten verstießen und ihn als Tatverdächtigen in einem Mordfall behandelten. Aber es blieb lange still auf dem Revier. Stundenlang. Der Himmel wusste, was sie mit dem Jungen machten.
    Sie versuchte, sich auf andere Aufgaben zu konzentrieren. Sie formulierte eine Anfrage an die Koordinationsabteilung nach weiblichen Vermissten zwischen sechzehn und einundzwanzig. Als sie Debbie gesagt hatte, all like her bedeute »alle wie sie« und der Mörder habe es auf Mädchen wie Lorne abgesehen, hatte sie das aus der Luft gegriffen. Aber wenn sie nun gar nicht so weit danebengelegen hatte? Es lohnte sich, darüber nachzudenken. Allerdings würde das gar nicht so einfach sein, wenn sie sich den Bildschirm anschaute. Das Ergebnis ihrer Suchanfrage war erschreckend. Namen über Namen. Natürlich wusste sie, dass die meisten Mädels auf dieser Liste wahrscheinlich gesund und munter waren und einfach den Kontakt zu ihrer Familie verloren hatten oder nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten. Ein großer Teil davon dürfte außerdem zurückgekommen sein, ohne dass man die Polizei davon in Kenntnis gesetzt hatte. Und trotzdem gab es Hunderte und Aberhunderte, und eine einzelne Person konnte sie nicht alle durcharbeiten. Zoë lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Scheiße. Wenn einer von diesen Namen einem Mädchen gehörte, das von Lornes Mörder umgebracht worden war, und wenn diese Leiche nicht gefunden worden war, dann gab es nicht den Hauch einer Chance, dass die Polizei darauf stoßen

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