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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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würde.
    Um Viertel vor zehn ging Ben mit schnellen Schritten vorbei. Er trug einen Stapel Akten und ging, ohne auf sie zu achten, weiter in sein Büro. Sie hörte, wie die Tür zuschlug. Sie wartete ein paar Augenblicke, dann stand sie auf, ging den Korridor hinunter und klopfte an seine Tür.
    »Wer ist da?«
    »Ich. Zoë.«
    Eine kurze Pause. Ein Zögern? »Komm rein.«
    Sie öffnete die Tür. Er saß an seinem Schreibtisch und hatte die Ellenbogen zu beiden Seiten des Papierstapels aufgestützt. Er hob den Kopf, aber sie bemerkte, dass er ihr nicht in die Augen schaute. Auf seinem Gesicht klebte ein nichtssagendes, höfliches Lächeln. »Was ist?«, fragte sie.
    »Was ist womit?«
    »Du weißt, womit. Mit Ralph. Vernimmst du ihn noch? Hast du ihm einen entsprechenden Betreuer vom Jugendamt besorgt?«
    »Er ist siebzehn. Er braucht keinen.«
    »Ich habe ihm versprochen, dass seine Eltern da nicht hineingezogen werden. Nur wenn er einverstanden ist.«
    »Ja. Und daran arbeiten wir. Dass er einverstanden ist. Die werden’s nämlich irgendwann erfahren.«
    Zoë ließ die ganze Luft aus ihrer Lunge. Sie trat näher und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Tisch. Ben beäugte sie und zog dabei eine Braue hoch, als sei er eigentlich nicht entzückt davon, wie sie sich hier häuslich einrichtete. »Er ist es nicht«, sagte sie. »Er ist es einfach nicht. Er ist zu jung . Erinnerst du dich nicht mehr an all die Kurse – dass ein Verbrechen dieser Art Zeit braucht? Dass es sich langsam aufbaut? Er ist ein Kind. Er passt fein säuberlich in das Profil, das euch angedreht worden ist, aber dieses Profil taugt nichts . Bitte sieh das ein. Es taugt nichts.«
    Ben lächelte sie gelassen an. »Ich bilde mir ein, mittlerweile Profi genug zu sein, um mich nicht durch psychologisches Profiling einschränken zu lassen, ob es nun etwas taugt oder nicht. Das wäre ein Riesenfehler. Erinnere dich, was sie uns in der Ausbildung immer gesagt haben. ›Grau ist alle Theorie.‹«
    Zoë seufzte. »Komm schon, Ben. Ich kenne dich zu gut.«
    Er klopfte mit seinem Stift auf den Schreibtisch. »Ralph Hernandez ist eine Person von Interesse für uns. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«
    »Eine ›Person von Interesse‹? O mein Gott – du bist ein solcher Volltrottel, es ist unglaublich.«
    »Bin ich das, Zoë? Hast du irgendeine bessere Spur als diese?«
    »Diese ›Spur‹ hast du von mir bekommen. Ich habe sie dir auf dem Silbertablett präsentiert, und ich habe wirklich, wirklich geglaubt, du würdest tun, was anständig ist. Aber das zeigt nur, wie wenig ich von der Welt verstehe, nicht wahr?«
    In diesem Augenblick ging die Tür auf. Zoë fuhr herum. Da stand Debbie, heiter-gelassen in ihrer weißen Spitzenbluse. Sie hatte etwas sagen wollen, doch als sie Zoë erkannte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Aah«, sagte sie Nachsicht heischend. »Sorry.« Sie hob die Hand und ging rückwärts hinaus. »Beschissenes Timing – nicht eben meine Stärke.«
    Sie schloss die Tür, und einen Moment lang war es still. Dann drehte Zoë sich wieder zu Ben um. Sie schüttelte den Kopf und lachte kurz und ohne Heiterkeit. »Komisch«, sagte sie. »Normalerweise erlaubst du niemandem, hier ohne Klopfen hereinzukommen. Es sei denn, er gehört … du weißt schon …« Sie formte die Hände zu einer runden Schale. »Zum inneren Zirkel. Gehört sie jetzt zum inneren Zirkel?«
    Ben starrte sie mit versteinerter Miene an. »Hast du eine bessere Spur als Ralph Hernandez?«
    »Du wirst also glauben, was immer sie erzählt? Du wirst deshalb diesen Jungen vor Gericht bringen?«
    »Was wäre die Alternative? Dass ich mir irgendjemanden vornehme, irgendeiner Spur, irgendeinem Hinweis folge, weil sie nicht in das Profil passen, das sie entwickelt hat? Ich habe deine Ermittlungen beobachtet, Zoë, und alles läuft darauf hinaus, dass du lieber den Mörder entkommen lässt, als Debbie recht zu geben. Wer ist denn hier schlimmer, du oder ich?«
    Zoës Gesicht glühte. »Das ist alles nur, weil ich vorgestern Abend irgendetwas gesagt habe, ja? Was immer es war.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Na, Ben, lass uns doch ehrlich sein. Gerade ging’s uns noch prima, und wir kamen prima miteinander aus. Und im nächsten Moment ist alles weg. Einfach …«, mit der flachen Hand imitierte sie ein fliegendes Flugzeug, »… einfach so. Weg. Du bist feindselig und distanziert und benimmst dich, offen gesagt, wie ein Arschloch.«
    Ben sah sie kalt an.

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