Atlan 01 - Lepso 01 - Totentaucher
pendelte unschlüssig hin und her. Er fühlte sich ins Verhör genommen. Und ich war nicht willens, ihn einfach daraus zu entlassen.
»Wenn dein Meister es nicht will – warum tust du es dann?«
Der Unither betrachtete das Gesicht am wieder hergestellten Schädel des Marsianers.
»Weil ich glaube: Jeder Tote hat ein Recht auf den Widerschein des Lebens, das ihm inne wohnte.«
Ich musste lächeln. »Wir war Ihr Name, Unither?«
»Corronko«, antwortete er, »der Nichtsnutz!«
»Alles andere als das«, sagte ich leise und steckte ihm einen orangenen Schein zu. Der Unither nahm die fünfhundert Solar ungläubig entgegen und verbarg sie dann in einer Tasche seines Hosenlatzes.
Wir mieteten einen Gleiter und fuhren in eine Ausweichwohnung ohne jedes verräterische technische Equipment. Hier wollte Chrekt-Chrym in den toten Marsianer tauchen.
Von dort orderte der Topsider den Sarg. Der Mann vom Enterprise de Pompes Funèbres d’Orbana , ein erstaunlich fülliger Swoon mit einer silbernen Trauerschürze, versprach, den Sarg umgehend zu programmieren und auf den Weg zu schicken. Er buchte die Gebühr für seine Gefälligkeiten von meinem Konto ab und verneigte sich anschließend mit den Worten: »Der Tod ist kein gern gesehener Gast an der Tafel der Lebenden, doch weise ist, wer auch ihm eine silberne Schüssel mit Grütze bereit stellt.«
Für einen Moment war mir, als würde mein Extrasinn lachen.
Chrekt-Chrym ging an die Arbeit. Das Schuppenkleid des Thanatopathen erbleichte, als er eintauchte.
Die Zusammenfassung seiner Funde klang seltsam kühl: A Schnittke hatte offenbar einen Tipp erhalten, dem er Bedeutung beigemessen hatte. Der Hinweis hätte ihn in den Omero-Wabusch-Sektor geführt. Ich würde dem nachgehen.
Ein anderer Teil des Toten erinnerte sich an eine weiße, in Sonne gekleidete Frau, die ihm als besonders erotisch aufgefallen war, und an ein aufgedunsenes, ballonförmiges Gesicht voller Schweiß – Schweiß, Speichel, Körperflüssigkeiten. Eine emotionale Landschaft aus Erregung und Ekel, die der Topsider nicht wirklich verstand.
Chrekt färbte sich wieder dunkel und schwieg. Ich war neugierig. »Wie ist es, wenn Sie tauchen , Chrekt-Chrym?«
Der Topsider fauchte leise. »Es ist, wie wenn man ein Zimmer betritt. Das Zimmer ist leer, aber voller Erinnerungsstücke, voller Gerüche, voller Stimmen. Sie hören den Stimmen zu, sie klingen wie ein Echo, aber wie ein Echo, das glaubt, es sei nicht das Echo, sondern die Stimme selbst.
Ich lausche den Stimmen, dem Murmeln, diesem Selbstgespräch. Erst sind die Sätze klar, bestimmt. Nach und nach verlieren sie ein wenig die Richtung. Sie irren ab. Sie werden leiser.
Dann verblasst das Zimmer allmählich, es wird schmal, lang, eng. Sie stehen da und es fällt Ihnen auf, dass dort eine Tür ist, eine Tür, die Sie vorher nie bemerkt haben. Sie war irgendwo in der Wand, fast verborgen, zwischen zwei Bildern, zwei Schränken, zwei … Dingen ohne Sinn.
Jetzt aber ist diese Tür unübersehbar. Es geht eine Anziehungskraft von dieser Tür aus, ein Sog. Sie möchten hin, sie öffnen, hindurch gehen.
Aber wenn sie die Hand ausstrecken, entzieht sich die Tür. Sie glauben, jemand hinter Ihrem Rücken sagt etwas in einer Sprache, die Sie nicht verstehen, aber Sie erfassen den Sinn der Botschaft. Die Stimme mahnt: Zeit zu gehen. Und ich gehorche und gehe, und tauche wieder auf.«
»Danke«, sagte ich.
Es gab noch einige Formalitäten mit den lepsotischen Behörden zu erledigen. Chrekt-Chrym bot mir an, das allein zu tun, aber ich lehnte ab. Vielleicht war es das Gefühl, a Schnittke etwas schuldig zu sein, weil ich ihn nicht so kennen gelernt hatte, wie es ihm gebührt hätte. Das Gefühl, etwas Wesentliches versäumt zu haben, wieder einmal, wie so oft in letzter Zeit, wie immer öfter. Die Zeit lief mir davon, immer uneinholbarer.
Was sollen die Geschöpfe sagen, die nicht wie du das Privileg der künstlichen Langlebigkeit besitzen? , fragte mein Extrasinn. Dass sie im Nu vorüber sind?
Dass sie im Nu vorüber sind , echote ich.
Chrekt-Chrym flog mit dem Gleiter zur Nekropole Azzamul, der Sarg mit a Schnittkes Leiche neben ihm her. Er folgte dem Verlauf der Chylamassa. Am Fuß der Moshyate-Berge stand die Kaserne der Nebelriesen, wuchtige, einförmige Blöcke ohne Fenster und Türen. Düsenartige Aggregate dienten dazu, die Nebelriesen aus- und wieder einziehen zu lassen.
Gerüchteweise sollten die Nebelriesen im Krieg der Fünfzig eine
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