Auch das Paradies wirft Schatten
nicht gesagt haben, Doktor, z.B. wird sie Ihnen nicht gesagt haben, daß sie meinen Bruder auch …«
»… geküßt hat, doch, auch das hat sie mir gesagt«, fiel Dr. Faber ein und amüsierte sich über Pedros perplexen Gesichtsausdruck.
Das Haustelefon läutete in diesem Augenblick. Fabers Wirtschafterin wollte wissen, wie es heute mit dem Abendessen stünde. Der vage Bescheid, den sie erhielt, ließ sie innerlich ihren schon mehrmals gefaßten Entschluß, ihre derzeitige Stellung zu kündigen, erneuern.
»Wo waren wir stehen geblieben?« fragte Dr. Faber den Baron, als er den Hörer auflegte. »Richtig, ja, bei den Küssen. Es war nicht nur einer, beichtete sie mir. Mir lief, gestehe ich, das Wasser im Mund zusammen.«
»Doktor, mir ist nicht nach Witzen zumute …«
»Und zuletzt wollte sie von mir noch wissen, was eine Nymphomanin ist.«
»Wie bitte?«
»Eine Nymphomanin.«
Pedro räusperte sich. »Doktor …«
»Hören Sie zu«, wurde er von Faber unterbrochen, der mit sich kämpfen mußte, um nicht über Pedros Mienenspiel der Entrüstung in schallendes Gelächter auszubrechen, »was geht Sie eigentlich, entschuldigen Sie die harte Frage, das Privatleben von Fräulein Klett an? Haben Sie irgendwelche Rechte auf sie?«
»Ich denke schon.«
»Seit wann?«
»Seit … seit heute … nein, seit gestern.«
»Eine enorme Zeit.« Nun platzte aber Dr. Faber doch heraus und rieb sich die Tränen aus den Augen, nachdem er herzlich gelacht hatte. Dann setzte er hinzu: »Auf alle Fälle liegt dieser Ohio-Besuch weiter in der Vergangenheit zurück, das steht zweifelsfrei fest, oder?«
»Zugegeben, Doktor, und ich weiß auch, daß Fräulein Klett angeheitert war, das erklärt vieles – aber trotzdem darf ich von meiner zukünftigen Frau erwarten, daß sie sich auch in animierter Stimmung reserviert verhält. Das hat sie nicht getan, und dieser Stachel sitzt in meinem Fleisch, wenn ich auch zu meinem Bruder etwas ganz anderes gesagt habe.«
Darauf hatte Dr. Faber nur eine Frage: »Baron Aarfeld, in welcher Zeit leben Sie eigentlich?«
Und als Pedro verbissen schwieg, entschloß sich Faber, ihm einmal richtig die Leviten zu lesen. Und wenn mich das die Freundschaft mit diesem Mann kostet, dachte er.
»Wissen Sie was?« legte er los. »Wenn ich die Klett wäre, würde ich gerne auf Sie verzichten. Sie sprechen von Ihrer ›zukünftigen Frau‹, Sie meinen es also ernst. Na, danke! Was hat denn eine an Ihrer Seite zu erwarten? Einengung, Diktatur, mittelalterliche Anschauungen, Freiheitsberaubung, womöglich noch alten Adelsstolz und den Keuschheitsgürtel wie bei den Kreuzfahrern … Moment, unterbrechen Sie mich nicht, ich bin noch nicht fertig. Was bedeutet denn heute noch ›alter Adel‹? Wer fragt heute noch danach, ob Ihre Vorfahren an einem Tisch mit Karl dem Großen saßen oder mit Pippin dem Kurzen auf die Jagd gingen? Auch die Freundschaft Ihres Ahnherrn Sebastian mit Otto dem Bärtigen interessiert heute nur noch die Familienforscher; die breite Masse pfeift darauf. Was Sie heute darstellen, das ist maßgeblich! Wenn Sie heute mit beiden Beinen im Leben stehen, wenn Sie anpacken, wenn Sie einem Erdarbeiter genauso gern die Hand geben, wie Sie die einer Komtesse küssen, dann sind Sie richtig! Mit mittelalterlichen Ansichten aber, mit Standesdünkel, mit den Allüren eines Perückenedelmannes, der alten Gemälden entsprungen ist, sind Sie heute nur noch ein lebender Witz, der herumläuft. Als solcher heiraten Sie besser nie, zum Segen jeder Unglücklichen, die Ihnen in die Hände fallen könnte.«
Dr. Faber verstummte. Es blieb eine Weile still. Die beiden Männer sahen einander schweigend an.
»Danke«, krächzte Pedro von Aarfeld endlich.
»Bitte, keine Ursache«, antwortete Faber. »Sind wir jetzt geschiedene Leute?«
»Wieso?« fragte Pedro, nachdem er sich die Stimme freigeräuspert hatte.
»Weil ich mir vorstellen könnte, daß Sie nun zutiefst beleidigt sind; daß Sie die Nase voll haben von mir.«
In Pedros Gesicht arbeitete es, und plötzlich obsiegte ein Lächeln, das sich in seine Züge stahl.
»Im Gegenteil, lieber Doktor«, versicherte er. »Ich finde, daß mir das einmal gesagt werden mußte.«
Er erhob sich und streckte sich. Er wirkte wie befreit. Er setzte hinzu: »Und ich verspreche Ihnen, mich grundlegend zu bessern. Als erstes werde ich mit Marianne sprechen, das hatte ich ohnehin vor – aber nun wird es in ganz anderer Form geschehen: Ich werde nicht erwähnen, daß ich
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