Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
ist, und biegt in einen kurvenreichen Weg zu einer kleinen Bucht ein. Der Zugang liegt immer noch im Schatten, während die entfernte Landzunge bereits hell von der Sonne beschienen ist.
Es stehen vereinzelt Zelte in den Dünen, aber es ist immer noch sehr früh, und die Reißverschlüsse der Eingänge sind noch bis oben hin zugezogen. Sie zieht ihr Kleid aus, rennt den Strand hinab und taucht ohne zu zögern in die sich brechenden Wellen. Sie ist eine großartige Schwimmerin. Sie krault mit langen kräftigen Zügen hinaus, bis ihr Kopf nur noch als Punkt zu sehen ist, der wie der Kopf eines Seehunds durch die Wellen pflügt. Ich ziehe mich aus und folge ihr. Das Wasser ist eisig kalt. Und es wird auch nicht besser, wenn man sich daran gewöhnt. Ich bleibe nur ein paar Minuten.
Ich stehe beim Auto, zittere in meinen nassen Shorts und warte darauf, dass sie wieder aus dem Wasser kommt.
»Im Kofferraum sind Handtücher.«
Ich wickele sie in eines ein und rubbele sie trocken. Dasselbe macht sie bei mir. Mir ist immer noch kalt und ich kann nicht aufhören zu zittern. Wir schnappen uns unsere Klamotten, und sie führt mich in die Dünen, weg von den Zelten und den wenigen Autos. Wir finden eine Stelle, und sie breitet für uns eine Decke aus. Aus einem Silberflachmann bietet sie mir Kognak an, legt ihre Arme um mich und zieht mich an sich. Ich spüre, wie mich der feurige Alkohol durchzieht, und mir ist nicht länger kalt.
Danach ziehen wir uns an, steigen auf die höchste Düne, sitzen da und blicken auf das Meer. Der Sand ist kühl und fühlt sich seidig an. Ich lasse die Körner durch die Finger rieseln. Der Strand ist einfarbig, doch jedes Sandkorn unterscheidet sich in Form und Farbe von den anderen. Wie viele es wohl sind? Selbst die hier, die mir durch die Finger fließen? Ich nehme eine Handvoll Sand und streue ihn über ihren Fuß, der davon halb verdeckt wird. Sie wackelt mit den Zehen, und lässt so den Fuß tiefer sinken. Um das Fußgelenk trägt sie ein goldenes Kettchen. An der Innenseite über dem Knöchel sind diese Linien, die ich früher schon bemerkt habe, jetzt aber besser erkennen kann. Streifen, gerade kleine weiße Male, leicht erhoben, in ihre Haut geritzt. Sie bemerkt, dass ich sie bemerkt habe.
»Ich hab mich früher selbst geritzt«, sagt sie einfach so. Vollkommen sachlich. »Das ist eine Stelle, wo es die Leute nicht bemerken. Hier hab ich es auch gemacht.« Sie schiebt die Silberarmreifenhoch, um mir die Innenseite ihres Handgelenks zu zeigen. »Das hab ich mit einer Rasierklinge gemacht. Von der altmodischen Art. Die sind dafür am besten. Schneller Schnitt. Sie drückt Zeigefinger- und Daumenspitze zusammen, als würde sie die Klinge halten, und macht eine schnelle Schneidebewegung. »Tut nicht weh. Also nicht so sehr. Wie wenn man sich an Papier schneidet.«
»Aber warum? Warum macht man so was?«
»Ich fand es schön, Blut zu sehen.«
Ich sage nichts und muss nur daran denken, wie viel Schmerz sie empfunden haben muss, um sich selbst verletzen zu wollen. Die Narben sind wie ein Strichcode. Die kleinen Linien enthalten den Schlüssel zu ihrem Selbst, das sie verbergen will. Sie legt die Hand über die Stelle, wie um sie vor meinem Blick zu schützen.
»Man fühlt sich wohler dadurch«, sagt sie. »Lässt den Druck ab. Ist keine große Sache.«
Ich schüttele den Kopf. Für mich ist es eine große Sache.
»Machst du es immer noch?«, frage ich.
»Nein.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich mache es nicht mehr.«
Das bedeutet nicht unbedingt, dass der Schmerz weg ist. Ich würde sie gerne in den Arm nehmen, ihr zu verstehen geben, dass ich ihr ein bisschen von ihrem Schmerz abnehmen möchte, doch ich bin mir nicht sicher, wie sie das aufnehmen würde. Ich möchte nicht, dass sie glaubt, sie täte mir leid – das kann sie nicht ausstehen.
Ich zögere etwas zu lange. Das Camp wacht auf. Ein Mann taucht vor seinem Zelteingang auf, und der richtige Augenblick ist vorbei.
Der Typ ist tief gebräunt, als wäre er schon den ganzen Sommer hier. Er trägt Flip-Flops und alte, ausgefranste abgeschnittene Jeans. Seine Haare sind lang, ausgebleicht vom Meerwasser und der Sonne. Einen Moment bleibt er stehen und nimmt den Morgen in sich auf. Dann sieht er uns. Er winkt und kommt zu uns her.
»Hallo, Caro. Schön, dich zu sehen.« Er lächelt sie an, doch als er mich sieht, verhärtet sich sein Ausdruck leicht. »Und das ist?«
»Das ist Jamie«, sagt sie. »Ein Freund.«
»Hallo, Jamie.
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