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Auch Du stirbst einsamer Wolf

Titel: Auch Du stirbst einsamer Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Mertens
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oder der Fahrer einen Unfall gemacht hätte, dann wären wir hoffnungslos verloren gewesen. Keiner hätte sich befreien können, da wir gefesselt waren und nicht einmal Platz hatten, um unsere Jacken auszuziehen. Wir hätten verbrennen müssen, wenn etwas passiert wäre.
    Mit Menschen durfte man das machen. Aber wenn man nur zwei Hunde in diese Gitterkäfige gesperrt hätte, dann wäre sofort der Tierschutzverein dazwischen gekommen. Wir waren eben arme Schweine, die keine Millionen hatten, und so konnte man es sich mit uns erlauben.
    Die Fahrt sollte über zwei Stunden dauern. Aber schon nach den ersten zwanzig Minuten stank es im Bus, als wenn man in einer Kadaververarbeitungsfabrik gestanden hätte. Es hatten nämlich zwei der Gefangenen in den Wagen gekotzt, da sie keine Möglichkeit hatten, diese Sache irgendwie anders zu erledigen. Man hatte weder eine Tüte, in die man hineinkotzen konnte, noch sonst etwas. Der Beamte sagte, man solle auf den Boden kotzen, da es verboten wäre, die Zelle aufzumachen.
    Aber man konnte nicht einmal genau auf den Boden kotzen, da der Platz nicht dazu da war. So mußten diejenigen, die reiern mußten, auf die Füße des anderen kotzen, der vor ihm saß. Es war nicht einmal die Möglichkeit gegeben auszutreten, wenn jemand auf die Toilette hätte gehen müssen. Wir hätten also sogar in den Wagen pissen müssen, wenn wir es nicht mehr ausgehalten hätten.
    So etwas hatte ich noch nie miterlebt, und wenn ich es einmal in einem Buch las oder es mir jemand erzählt hatte, habe ich nicht glauben können, daß Menschen so unwürdig behandelt werden.
    Aber nun mußte ich es glauben, da ich es selbst miterlebte.
    Der Bus blieb nicht eine einzige Minute stehen, nicht einmal eine einzige Sekunde, denn er durfte bei Rot über die Ampel fahren, während die Bullen vor uns den Weg freimachten. Der Busfahrer hatte einen Fahrstil, der mit dem eines Rallyefahrers zu vergleichen war. Der Bus wurde durchgeschüttelt, und mir war es nach einer Weile schlecht, weil ich an eine solche Raserei nicht gewohnt war. Aber ich beherrschte mich so gut ich konnte. Dann kam der Bus endlich im Knast von Marseille an, und im Bus stank es so extrem, daß es schon fast nicht mehr auszuhalten war. Es hing dicker Zigarettenqualm in der Luft, die Gerüche des Erbrochenen waren ebenfalls nicht zu ignorieren, und mir war es schlecht, als wenn ich eine ganze Nacht durchgesoffen hätte.
    Man ließ uns noch eine ganze Weile im Bus sitzen, als wenn man beraten wollte, was man mit uns machen sollte. Wie Schlachtvieh saßen wir da und warteten darauf, zur Schlachtbank geführt zu werden. Einige, die dringend auf die Toilette mußten, fingen an zu wimmern, und ich konnte mir vorstellen, was das für ein mieses Gefühl ist, wenn man dringend auf die Toilette mußte und konnte nicht gehen.
    Dann wurden wir endlich aus dem Bus geholt. Ich stellte fest, daß wir in einem großen Hof standen, der von riesigen Mauern umgeben war. Dieses Gefängnis sah wirklich nicht einladend aus. Ich stand kaum da und war damit beschäftigt, mir die Mauern anzuschauen, als ein riesiges Geschrei hinter mir losging.
    Ich drehte mich um, damit ich sehen konnte, was los war.
    Einer, der aus dem Bus ausgestiegen war, hatte sich zur Seite gestellt und pisste, da er es nicht mehr ausgehalten hatte. Das schien den Beamten nicht zu behagen, und so schrien sie ihn an. Da dieser sich das nicht gefallen lassen wollte, brüllte er einfach zurück, was für ihn zum Verhängnis wurde. Die Beamten zogen ihre Knüppel heraus und droschen auf ihn ein, bis er am Boden lag und wimmerte. Da konnte ich mir schon ein leichtes Bild von dem Knast machen, und ich verstand, wenn andere sagten, daß Marseille der schlechteste Knast von Frankreich sei. Aber das bezog sich nicht nur auf die Beamten, sondern auch auf andere Dinge, die ich noch kennenlernen sollte. Den, den sie zusammengeschlagen hatten, schleppten sie weg wie ein Stückchen Dreck, das man nicht einmal anschauen sollte. Hier wurden aus Menschen Bestien gemacht, dachte ich mir. Als wir alle aus dem Bus waren, wurden wir durch einen Eingang geführt, über dem »Aufnahme« stand. Die, die auf die Toilette mußten, sollten sich melden. Es waren alle, ohne Ausnahme, die menschliche Bedürfnisse hatten. Das erstemal in meinem Leben war ich froh, daß ich keine schwache Blase hatte, denn auf der Toilette gab es fast eine Schlägerei, weil sie zwei gleichzeitig benutzen wollten.
    Danach wurden immer drei Mann in eine

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