Auch keine Tränen aus Kristall
drängte sich ihm plötzlich eine Gedanke auf. Er sah sich in dem Studierzimmer um und spürte das ganze uralte Gewicht Hivehoms, des endlosen Daret und seines geheimnistuerischen, hektischen Militär-Establishments. Was machte er in diesem Saal, er, ein einfacher Ackerbauspezialist aus den Kolonien, nicht viel mehr als ein Pilzhüter, der auf den Pfaden jener wandelte, die in den finsteren Tunnels ihre Gewächse gehegt hatten, ehe die Vernunft sich eingeschaltet hatte? Vielleicht ...
Ein Pfeifen, mit dem der Soldat einen Eigennamen betonte, riss ihn aus seinen Gedanken: Sed-Clee. Ryo sagte der Name nichts. Aber die Kraft, die der Soldat in den Pfiff hineingelegt hatte, und der Schrecken, den seine Bewegungen dabei ausdrückten, reichten aus, um Ryo aus seiner augenblicklichen Unsicherheit zu reißen.
Irgend etwas ging hier auf Hivehom vor sich. Etwas von weitreichender, drohender Bedeutung. Und dieses Etwas lockte ihn, während ihn gleichzeitig jener hartnäckige Sektor seines Gehirns, der ihn seit seiner Geburt gequält hatte, von hinten anstieß. »Was ist Sed-Clee?« unterbrach er den Redestrom des Soldaten.
»Nichts«, antwortete der mit einer fast feierlichen Geste.
»Nichts?« fragte Wuu.
»Nichts. Ein großes Nichts, glaube ich.«
»Jetzt widersprechen Sie sich nicht nur, junger Freund«, murmelte der ungeduldige Poet, »jetzt sind Sie sogar absurd.«
»Ganz und gar nicht, Sir«, antwortete der respektvoll. »Beim Recherchen stößt man gelegentlich in den Akten auf belanglose, aber interessante Informationen; ›Diese Information ist für Sed-Clee bestimmte - ›Dieser Bericht kam von Sed-Clee zurück.‹ Aber niemals Einzelheiten, Erklärungen. Verstehen Sie nicht? Viel zuviel kommt und geht von diesem winzigen Militärstützpunkt. Das Volumen ist viel umfangreicher, als man bei einem Posten solcher Größe annehmen müsste. Und die Informationen kommen von einem der esoterischen Bauten des Militärs. Von dem hier, zum Beispiel. Wenn es keine Spezialisten gibt, kann man, wenn man aufmerksam ist, gelegentlich aus Andeutungen Informationen gewinnen. Und um jenen Ort kreisen dauernd Gerüchte. Das, was Sie angesprochen haben, ist nicht das erste. Und da ist noch mehr. Ich bin noch nie einem Soldaten begegnet, der tatsächlich dort gewesen ist. Ich habe nie jemanden finden können, der irgend jemand kennt, der je dort gewesen ist.«
»Eine geheime militärische Grabkammer«, meinte Ryo.
»Nicht geheim. Die Existenz von Sed-Clee ist schließlich bekannt«, fuhr der Soldat fort. »Das Ganze ist nur so obskur. Es gibt so viel formelle Gleichgültigkeit, wenn es um diesen Ort geht, ganz zu schweigen von bewussten Verwirrungen, dass man sich fragt, ob dort vielleicht nicht wirklich wichtige Studien stattfinden.«
»Sie haben es gerade einen Ort genannt«, bemerkte Ryo.
»Die Statistiken charakterisieren es etwas. Die Wabe von Sed-Clee selbst ist klein. Zwanzigtausend Bürger etwa, mit ein paar kleinen Industrien und einem Militärstützpunkt, den Berichten nach von bescheidener Größe. Die exakte Größe ist klassifiziert und mir nicht zugänglich. Aber die bekannten Informationen deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass dort irgendwelche bemerkenswerten Dinge getan werden.«
»Und doch glauben Sie, dass Sed-Clee irgend etwas mit den Gerüchten zu tun hat, denen wir nachgehen?« fragte Wuu.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas simpel wirke, Sir. Aber es gibt sonst keinen Ort, dem man diese Gerüchte zuschreiben kann. Also scheint es mir der logische Ort, um weiter zu suchen. Aber dafür sind eine Anzahl anderer beunruhigender Dinge über Sed-Clee wohlbekannt, die nichts mit Gerüchten zu tun haben.
Ich bin weder imstande noch persönlich daran interessiert, dorthin zu gehen. Wenn die Gerüchte nicht mehr als eben nur Gerüchte sind, wäre es Zeitvergeudung. Und wenn sie wahr sind, dann will ich ganz bestimmt nicht dorthin.
Aber nachdem Sie beide sich dafür interessieren und wegen der Bewunderung, die ich für Ihre Arbeit empfinde, Eint-Meister, und der Ehre, die Sie mir erwiesen haben, indem Sie heute hier vor mir aufgetreten sind, habe ich Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Mehr gibt es nicht - nur, dass ich Ihnen das zeigen werde, was über Sed- Clee bekannt ist.«
Sie kehrten in den Vorraum zurück. Unter dem Schutz einer harmlosen Unterhaltung, die das Interesse der Kollegen des Soldaten ablenken sollte, studierten sie seinen persönlichen Bildschirm, der auf seinem Schreibtisch angebracht war.
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