Auch Santiago hatte einen Hund
Gehöften am Weg um Wasser bitten, mein Vorrat ist längst erschöpft. So komme ich vollkommen erschöpft und ausgebrannt gegen 20 Uhr in ROCHEFORT-EN-TERRE an. Und wieder ist das Gîte im Ort geschlossen. Nach einer zweiten Nacht im Freien steht mir der Sinn sicher nicht, ich rieche bereits selber, dass ich über zwei Tage geschwitzt, aber nicht geduscht habe! Das Tourismusbüro hat gerade zugesperrt, wie ich an der Eingangstür lese (war meine Prioritätensetzung heute früh wirklich richtig?), die wenigen Privatzimmer im Ort sind ausgebucht und im Pfarrhaus, wohin ich mich in meiner Not wende, rührt sich nichts. Wie ich mich so durch diese wunderschöne cité de caractère schleppe, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die zahlreichen Touristen - sie genießen den lauen Abend in den Straßencafés bei einem Apéro - mich wohl für einen Clochard halten. Ist mir ziemlich egal, mich drängt’s zu Schlafplatz und Dusche! Und meine Beharrlichkeit macht sich wieder bezahlt - oder ist es mein Beschützer, der mich leitet? Ich beschließe nämlich, bevor ich „in die Wälder“ ziehe, noch einen letzten Versuch bei einer Adresse etwas außerhalb des Ortskerns zu unternehmen, wo laut Prospekt Zimmer vermietet werden, auf meinem Anruf hin aber nur der Anrufbeantworter zu vernehmen war. Es ist ein Kulturzentrum mit Barbetrieb. Montag allerdings Ruhetag - und heute ist Montag. Sch...! Doch ich lasse nicht locker, klopfe an Türen und Fenster und schaue vorsichtshalber, ob ich nicht vielleicht im Garten hinter dem Haus... Als ich schon gar nicht mehr damit rechne, geht eine Tür auf - ich bin gerettet! Beppino, einer der Mitbegründer der Kulturinitiative, lässt mich ins Haus. Ja, ich kann hier übernachten. Sie sind zwar gerade beim Umbauen, sie planen drei Fremdenzimmer, die noch nicht vollständig fertig gestellt sind, aber für einen Pilger hat er immer Platz. Es wird ein unvergesslicher Abend mit Beppino. Er erzählt mir, dass er und seine Freunde versuchen, den Ort, der immer mehr zur Kulisse für Touristen verkommt, mit diversen Aktivitäten wiederzubeleben - Café-Bistro, Konzerte, wöchentlicher Bauernmarkt usw. Da passt eine Pilgerherberge wunderbar ins Konzept, meint er.
Aus dem prächtigen Herrenpilz, den ich unterwegs gefunden habe, dazu Zwiebel und Knoblauch aus meinem Rucksack sowie mit dem Reis aus Beppinos Küche bereite ich ein delikates Risotto zu, Beppino spendiert den Rotwein - ein Festmahl! Bis weit nach Mitternacht sitzen wir am Küchentisch zusammen, Frust, Arger und Erschöpfung bei meiner Ankunft sind einer rundherum wohligen Zufriedenheit gewichen, und nach der ersehnten Dusche sinke ich glücklich ins frisch gemachte Bett. Was für eine emotionale Berg- und Talfahrt!
Juli 1990 - vermisst!
Wir, Ajiz und ich, brechen gleich nach dem Frühstück in meinem „postkastlgelben“ VW-Käfer, Baujahr 73, nach Innsbruck auf. Seit September 1989 bin ich Leiter eines Bildungszentrums in einem kleinen Dorf im Sellraintal, einem Seitental des Inntals. St. Sigmund liegt in 1500 m Seehöhe, umgeben von fast 3000 m hohen Bergen, etwa 25 km von Innsbruck entfernt. Ein wahres Paradies für Herr und Hund! Die unberührte Berglandschaft - wilde Bäche, Zirbenwälder, Almwiesen im Sommer, Rodelbahn, Langlaufloipe und tief verschneite, einsame Hochtäler im Winter - verleiht meiner Entscheidung für einen Hund nachträglich einen tieferen Sinn. Denn wer hier keinen Hund hat, ist selber schuld! Bisweilen denke ich jedoch, vor allem jetzt im Rückblick, dass auch andere wichtige Entscheidungen - Wohnsitz, Beruf, Reisen, sogar Freundschaften - stark durch die Tatsache beeinflusst wurden, dass ich einen Hund hatte.
Wie auch immer, heute ist „Stadttag“. Vormittags ist eine Besprechung geplant, dann stehen diverse Behördengänge an. Zu Mittag möchte ich in meine Wohnung fahren, etwas essen, aufräumen, denn da ich jetzt doch fast die Hälfte meiner Zeit im Bildungshaus verbringe, wo ich mein eigenes Zimmer habe, kommt die Ordnung in meiner Innsbrucker Wohnung einfach zu kurz. Bevor ich am Abend zurück in die Berge fahre, muss ich auch noch den Großeinkauf erledigen, volles Programm also. Während der Besprechung im Kulturzentrum vergnügt sich Ajiz mit den beiden Kindern der Leiterin, die von dem gutmütigen, putzigen und wunderschönen kleinen Bären ganz begeistert sind. Ich wiederum bin froh, dass ich mich ganz auf die Besprechung konzentrieren kann. Zwar verspüre ich seit dem Vormittag
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