Auf Befehl des Königs
Es ist noch etwa eine Stunde hell. Nützt die Zeit und stöbert in weiteren Büchern, während ich meine Arbeit mit Godfrey beende. Danach ziehen wir uns in mein Haus zurück, wo wir das Nachtmahl einnehmen."
Marguerite spürte, dass er vor ihr und seinem Geständnis fliehen wollte, war aber so überwältigt und benommen, dass sie nichts unternahm, um ihn zurückzuhalten. Sie nickte stumm, und Orrick verließ eilig die Bibliothek.
Je besser sie ihn kennen lernte, desto rätselhafter wurde er ihr. Immer wenn sie dachte, etwas über seine wahren Beweggründe zu erfahren – und über ihre eigenen –, stellte er alles wieder auf den Kopf. Der Mann, dem sie alles gegeben, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, hatte sie verstoßen, aber der, den sie ständig abwies und mit ihrer Launenhaftigkeit verärgerte, dem sie das Leben schwer machte und der daraus Nutzen ziehen könnte, wenn sie ihn verließ, hatte den Wunsch, dass sie bei ihm blieb.
Das alles war unbegreiflich.
In diesem Augenblick wachte Bruder David auf, streckte sich und stand auf. "Verzeiht, Mylady. Euer Vortrag war so beruhigend, dass ich eingedöst bin, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Wollt Ihr fortfahren?"
Marguerite verdrängte den Aufruhr in ihrem Herzen und wollte die Gelegenheit wahrnehmen, die Orrick ihr gegeben hatte. "Ich würde gerne in den Aufzeichnungen von Dioscorides blättern, 'De Matera Medica'. Es ist eines der fünf Bücher dort oben auf dem dritten Regalbrett."
Sie wies mit dem Finger auf das dicke in rotes Leder gebundene Buch, das der Mönch ihr herunterholte. In der Hoffnung, einige interessante Rezepturen und Beschreibungen von wichtigen Heilkräutern für Bruder Wilfrid zu finden, versenkte sie sich in die Lektüre der Beschreibungen vieler Heilpflanzen, die der angesehene Arzt vor Jahrhunderten in römischer Zeit niedergeschrieben hatte.
Ihre Gedanken aber wanderten immer wieder zu Orrick zurück, und seine Worte hallten in ihr nach. Obwohl ich wusste, dass Euer Herz und Euer Körper einem anderen Mann gehören, habe ich mich in Euch verliebt …
"Ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, dass Ihr eine passende Braut findet, Mylord."
Orrick starrte weiterhin aus dem Fenster. Mittlerweile glaubte er, einen Fehler begangen zu haben, Marguerite seine Gefühle zu gestehen. Gavin hatte ihn gedrängt, ihr die Wahrheit zu sagen, und er hatte auf den Rat des Freundes gehört.
Als Marguerite darauf beharrt hatte, seine Beweggründe zu erfahren, warum er Verträge unterzeichnet hatte, mit denen er – im Gegensatz zu den allgemeinen Gepflogenheiten unter Edelmännern – materielle Verluste hinnahm, hatte er sich ihr offenbart. Obwohl sie ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie zutiefst unglücklich mit ihm war, hatte er ihr seine Liebe enthüllt und sie wissen lassen, dass er alles daransetzen wollte, um ihre Zuneigung zu gewinnen. Nun erschien ihm dieses Versprechen töricht und unbedacht, da seine Zuversicht, sie zum Bleiben bewegen zu können, im Schwinden begriffen war.
"Eurer Frau Mutter erging es nicht anders", fuhr Godfrey fort. Erst jetzt horchte Orrick auf. "Ihr habt mit meiner Mutter über meine Ehe gesprochen?"
"Geredet nicht, aber wir korrespondieren gelegentlich miteinander." Der Abt nickte lächelnd.
"Dann wisst Ihr von ihrer Abneigung gegen Marguerite", sagte Orrick und wandte sich vom Fenster ab.
"Ablehnung konnte ich ihren Schreiben nicht entnehmen, Orrick. Zunächst spürte ich ihre Besorgnis über die Entscheidung des Königs, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie Eure Gemahlin verachtet."
Verblüfft über die Nachricht, dass Godfrey mit seiner Mutter im Briefwechsel stand, augenscheinlich sogar regelmäßig, durchquerte Orrick den Raum. "Aber das tut sie!"
"Lady Constance ist mit mir einer Meinung, dass Marguerite die richtige Frau für Euch ist. Ihr beide seid euch in mancher Hinsicht sehr ähnlich, was eine gute Voraussetzung für eine harmonische Ehe sein kann."
"Ich weiß nicht, was Euch zu dieser Ansicht bewegt, Godfrey. Marguerite weigert sich beharrlich, ihren Platz als meine Ehefrau einzunehmen, und meine Mutter …"
Er stockte und dachte über die vermeintlich negative Haltung seiner Mutter nach. Wenn er es sich überlegte, hatte sie sich nur über seine Gattin beklagt, in einer Zeit, als Marguerite alle Bewohner von Silloth mit ihrer Launenhaftigkeit und Streitsucht verärgert hatte. Ansonsten hatte seine Mutter Marguerite höflich aufgefordert, ihre
Weitere Kostenlose Bücher