Auf Befehl des Königs
würden die Mönche sich zur Abendandacht in der Kapelle versammeln und anschließend ihr bescheidenes Nachtmahl einnehmen. Marguerite, die Edmee bereits vorausgeschickt hatte, wollte sich verabschieden und gehen.
"Mylady? Kann ich Euch kurz sprechen?" Der Abt stand in der offenen Tür und machte eine einladende Armbewegung. "Darf ich Euch zu einem Abendspaziergang einladen?"
Marguerite nickte. Es wäre unhöflich gewesen, ihm die Bitte abzuschlagen, und außerdem weckte er ihre Neugier. Godfrey führte sie den Korridor entlang, vorbei an seiner Schreibstube in einen Seitenflügel des alten Klosters.
"Orrick meinte, Ihr würdet Euch an den Schätzen unserer Bücherei erfreuen."
"Es war mir ein großes Pläsier. Das Kloster besitzt unbeschreibliche Kostbarkeiten, wahre Schätze der Weltliteratur, die ich nur dem Vernehmen nach kannte."
"Ihr könnt Euch jederzeit Bücher ausleihen, allerdings nicht die unersetzlichen Urschriften, aber von den meisten Werken haben unsere Mönche Kopien angefertigt, die ich Euch gerne zur Verfügung stelle."
"Wirklich?"
"Lord Orrick hat eine Stiftung eingerichtet, mit der er unsere Abtei und unsere wissenschaftlichen Arbeiten fördert. Seiner geschätzten Gemahlin Zugang zu unserer Bibliothek zu gewähren, ist wohl das Geringste, was wir tun können, um unsere Dankbarkeit zu erweisen."
"Hochwürden, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, Eure Worte klingen verdächtig nach Bestechung."
"Sie sind eine, Mylady. Schlicht und einfach."
Marguerite lachte herzlich über seine Freimütigkeit. "Wie ich annehme, seid Ihr nicht nur der Beichtvater von Lord Orrick, sondern auch sein Freund und Mentor."
"So ist es, Mylady. Ich muss gestehen, es ist mir ein Vergnügen, in Euch eine Frau kennen zu lernen, die das geschriebene Wort zu schätzen weiß." Der Abt blieb stehen. "Ich nehme an, dass Euch das, was ich Euch nun zeige, ebenso gefallen wird."
Er öffnete eine Tür, und Marguerite blickte in den größten Schreibsaal, den sie je gesehen hatte. In dem Raum standen etwa ein Dutzend hoher Schreibpulte, an denen Mönche im Licht der im Raum verteilten kostbaren Bienenwachskerzen arbeiteten. In der Stille des Saales, in dem sich so viele Menschen aufhielten, war nur das Kratzen der Federkiele auf Pergament zu hören. Marguerite stand reglos in atemlosem Staunen.
"Unsere Brüder beliefern die Klöster, Abteien und Kirchen in England mit Gebetbüchern und Bibeln. Außerdem nehmen wir Aufträge weltlicher Herren an."
Die Schreiber ließen sich durch die Gegenwart einer Frau nicht ablenken, und Marguerite bewunderte die Konzentration und Hingabe der Mönche, die kunstfertige Kopien der kostbaren Handschriften anfertigten.
"Hochwürden, es ist mir ein Bedürfnis, ein Viertel meiner Einkünfte für die Arbeit des Klosters zu spenden."
"Das ist ein großzügiges Geschenk, Mylady."
"Dem Kloster, dem meine Schwester als Nonne beigetreten ist, will ich ein weiteres Viertel meiner Einnahmen zukommen lassen."
"Gott segne Euch für Eure Wohltätigkeit, Mylady."
Sie wandte sich ihm zu, um ihre Liste zu vervollständigen. Es erschien ihr nur recht und billig, dass Orrick für die Verwaltung ihrer Güter einen angemessenen Lohn erhielt. "Ein drittes Viertel meiner Gewinne soll Lord Orrick erhalten."
"Ich fürchte, Orrick zieht es vor, von Eurer Bildung und Euren Gaben zu profitieren, nicht von Eurem Vermögen."
Marguerite blinzelte verdutzt bei den unverblümten Worten des frommen Mannes. "Reicht ihm Gold nicht als Entschädigung, wenn ich ihm nicht geben kann, was er sich von mir wünscht?"
"Mylady, verzeiht. Aber selbst ich alter Mann erkenne die Liebe zwischen Euch, und ich spüre, dass nur der Stolz Euch beide daran hindert, Euch diese Zuneigung füreinander einzugestehen."
"Ist das Eure ehrliche Meinung? Denkt Ihr wirklich, Hoffart trennt uns voneinander?"
Plötzlich wusste Marguerite, wem Orrick seine Menschenkenntnis zu verdanken hatte. Sie ließ die Bemerkungen des Priesters über die Liebe unangefochten, da sie sich bereits gefragt hatte, ob ihre Gefühle zu Orrick etwa in die Richtung gehen könnten. Nachdem ihre Empfindungen für Orrick sich aber so sehr von denen für Henry unterschieden hatten, scheute sie sich bislang, Orrick davon zu unterrichten.
Der Abt schloss die Tür zum Schreibsaal leise, und Marguerite folgte ihm den Flur entlang bis in den Klosterhof. "Mylady, ich weiß von Eurer Beziehung zum König, und ich nehme an, auch Ihr habt inzwischen eingesehen,
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